Grizzlys Lettlandreise 2002

      Grizzlys Lettlandreise 2002

      Lettland liegt ja nicht grad um die Ecke; ohne die Einladung meines Onkels, damals deutscher Botschafter in diesem Land, wär ich wohl nicht hingekommen.

      Bekanntlich fliege ich nicht gern, v.a. wenn's sich vermeiden lässt. Mit der Bahn über Polen und Litauen isses eine tierische Gurkerei - zwei Nächte und den Tag dazwischen verbringt man in insgesamt acht Zügen, so dass man, Verspätungen nicht eingerechnet, ab Hamburg Hbf. 38 1/2 Stunden unterwegs ist.

      Schneller gehts mit der Fähre zwar auch nicht - ab Lübeck-Travemünde 35-37 Stunden, von Sonntagfrüh bis Montagabend oder Mittwochabend bis Freitagfrüh - aber es ist weitaus bequemer und dürfte auch nicht teurer sein. Wer Lust hat, kann auch sein Auto mit auf die Fähre nehmen, was ich mir verkniffen habe - damit's mir nicht geht wie ihm hier:

      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      Original von Ini
      oh :floet:

      armes Autochen :D


      Nun ja - wie man's nimmt.
      Womöglich lebt das Autochen jetzt länger als wenn es irgendwann durch ein neueres Modell ausgetauscht worden wäre.


      Der (durch eine Puppe dargestellte) Herr im Auto hat das Ganze übrigens relativ unbeschadet überstanden, soweit man weiss. Gerade Du, liebe Ini, müsstest ihn noch kennen, wenn auch, vermute ich, nicht persönlich ...

      Der Unfall ist nicht in Lettland, sondern in Moskau passiert, 1980.
      Weitsichtige KGB-Leute (oder aus deren Dunstkreis) haben das Wrack aufgehoben und später dem Motor-Museum Riga überlassen (nicht ganz unentgeltlich, vermute ich). Dieses Museum ist ein Muss für jeden Oldtimer-Fan :link:

      Der Bruchpilot, Leonid Breschnew hiess er (Parteichef der KPdSU, gestorben 1982) war als Autofahrer berüchtigt.



      Bei einem Staatsbesuch in Bonn bekam er einen Mercedes Sportwagen geschenkt.
      Begeistert setzte er sich hinein und brauste sofort los, seine Sicherheitsbeamten, die sich in Bonn nicht auskannten, hatten Mühe, ihren wildgewordenen Chef wieder einzufangen :D


      Mit dem in Riga archivierten Rolls Royce Silber Shadow (??) ist er gegen einen LKW gebrettert;
      Personenschäden gab's keine.
      Was sie mit dem LKW-Fahrer gemacht haben, bzw. ob der in Sibirien geladet ist :schneitbild:
      weiss ich allerdings nicht :gruebel:
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Bevor ich nach Lettland fuhr, wollte ich mir wenigstens ein paar einheimische Scheine einstecken und fragte auf meiner Bank nach ein paar Lats. So heisst das dort.
      Hatte die Bank natürlich nicht da, weil nicht jeden Tag einer danach fragt.

      Nach ein paar Tagen durfte ich mir zwei Scheinchen abholen, auf denen die Zahl 20 stand und dahinter litu sowie darunter Lietuvos Banka. 70 Euro wollten sie mir dafür von meinem Konto abziehen.

      Noch in der Bank wurde ich stutzig. Heisst Lettland nicht Latvija anstatt Lietuva ? Nach kurzer Beratung stellte sich heraus, dass die Zentrale geschlampt hatte - ich hatte litauische Litas bekommen, die zusammen mal grad 10 € wert gewesen wären ...

      Ich tauschte dann auf der Fähre.


      Das sind 20 Lats

      (die Häuser sind m.W. aus dem Ethnographischen Freilichtmuseum Riga)

      und das hier 20 Litas


      Wann es Lat und wann Lats heisst, weiss ich nicht. Lats ist auf jeden Fall die Einzahl.
      Ein Lats wird in 100 Santim unterteilt.

      Die kleineren der Santim-Münzen kommen mir irgendwie bekannt vor :gruebel:


      Quelle

      Eine Straßenbahnfahrt in Riga kostete 2002 z.B. 20 Santim, ein Bier um die 50 Santim.
      Für 1 Lats musste man damals 1,60 Euro zahlen - aktuell sind es 1,43 Euro :link:
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Ob sie die Zufahrt zur Fähre in Lübeck-Siems inzwischen besser ausgeschildert haben, das kann ich nur hoffen - damals war's ein furchtbares Gegurke. Mein Auto bleibt hinter dem Zollcontainer stehen, so wacht das Auge des Gesetzes in meiner Abwesenheit über ihm.

      Das Schiff (inzwischen ist es m.W. zwei litauische) hat die :tuerkei: Flagge gehisst, und es hat auch einen türkischen Namen: Kaptan Burhanettin Isim. Ich schleife meinen Rollkoffer also die enge Innentreppe hoch und schmettere dem ersten mir entgegenkommenden Seemann ein Merhaba entgegen. Der fragt mich, woher ich das kann - ich erzähle ihm, dass ich Hausarzt bin und eine Anzahl türkischer Patienten versorge, was mir eine Einladung beim Schiffsarzt einbringt.

      Der Kollege zeigt mir ganz stolz seine beiden kleinen Räume, die auf englisch mit Hospital und auf Türkisch mit Revir gekennzeichnet sind. Dann fachsimpeln wir eine Weile, das Schiff legt inzischen ab, und ich darf die Trave-Durchfahrt auf der Kapitänsbrücke erleben, zwei Etagen höher, als ein normaler Passagier darf - die Aussicht ist eindrucksvoll. Und seither hab ich eine Einladung nach Izmir offen.

      Ansonsten ist die Crew auf der 37-stündigen Überfahrt (16:00 - 5:00) beschäftigt, und wir Passagiere haben meisten mit der lettischen Service-Mannschaft zu tun. Auf der Hinfahrt bleibt das zweite Bett in meiner Kabine leer, das ist ganz angenehm.

      Die meisten Passagiere sind Trucker, deren Fahrzeuge im Bauch der Fähre abgestellt sind. Da sie jetzt anderthalb Tage nicht fahren müssen, schütten sie - oder ein beträchtlicher Teil von ihnen - sich innerhalb der nächsten 24 Stunden eine ordentliche Ladung Bier in sich hinein, ansonsten haben sie einen vom Salon abgetrennten Raum für sich, in dem sie im wesentlichen russische Videos (d.h. meistens englische oder US-amerikanische, russisch synchronisert) konsumieren. Lediglich zur Ausgabe der Mahlzeiten werden sie munter und stehen meistens schneller in der Schlange als unsereins gucken kann. Aber es ist genug für alle da.

      Ich schliesse mich einer vierköpfigen Radfahrergruppe an, so dass wir für die Überfahrt genug Gesprächsstoff haben. Ausserdem ist das Wetter schön, die See vollkommen ruhig, und zwischendurch kann man Tischtennis spielen. Die meiste Zeit hat eine lettische Lehrersfamilie die Platte okkupiert, aber sie spielen "Rundlauf", d.h. man kann zu fünft spielen, Gäste sind willkommen.
      Die Durchgänge sind kurz - wer daneben schlägt, fliegt raus. Die letzten beiden machen ein Endspiel, wer zuerst mit zwei Punkten Abstand führt hat gewonnen. Die Kommunikation verkäuft in einem englisch-lettischen Gemisch.

      Während die Trucker am ersten Abend manchmal etwas laut wurden, es auch untereinander manche kleinen (ungefährlichen) Geplänkel gab, sind sie den nächsten Abend ruhig und schlafen ihren Rausch aus. Auch die anderen gehen früher ins Bett, denn mitten in der Nacht, gegen 2:30, werden wir von einer gnadenlosen Lautsprecherstimme geweckt. Dann sind es zwar noch zweieinhalb Stunden bis zum Verlassen des Schiffs, aber bis alles zusammengepackt ist, das dauert. Der Tresen bleibt zu, Frühstück gibt's keines mehr.

      Ähnlich wie in Hamburg oder Lübeck gibt's vor dem Anlegen eine längere Flusspassage, hier durch die Daugava, an endlosen Hafenanlagen vorbei, während es langsam hell wird. Irgendwann werden wir genötigt, hinunter ins Fahrzeugdeck zum Aussteigen zu gehen. Wieder mussen wir (die Radfahrer und die wenigen Fußgänger) mehrere Treppen in die Tiefe steigen und uns an den dicht an dicht geparkten LKW's vorbei quetschen, deren Kapitäne bereits hinterm Lenker sitzen. Unangenehm ist, dass einige bereits den Motor starten, weniger wegen des Lärms und der erstaunlicherweise wenig beeinträchtigenden Abgase (die Lüftung funktioniert, das muss man den Türken lassen), sondern weil das Führerhaus während des Starts beängstigend hin- und her wackelt, und dass uns keinem eins gegen den Kopf knallt, ist Glück.

      Schliesslich stehen wir direkt vor der noch geschlossenen Klappe - die Zeit, bis die sich öffnet, erscheint uns ewig. Irgendwann erbarmt man sich, wir sehen wieder Licht, und man gibt uns etwa zwei Minuten Vorsprung, um zuerst das Schiff zu verlassen, bevor die Trucks an uns vorbeidonnern.

      Damals war noch Passpflicht - ich gehe mit aufgeschlagener Lichtbildseite zur Kontrolle, der Beamte schaut kaum hin, haut mir einen Einreisestempel rein, und ich darf gehen; mein Gepäck interessiert nicht.

      Um die Ecke stehen ein paar Taxis, ich steige in einen alten Lada und sage meinen zuvor auswendig gelernten Spruch:
      Lab dien, ludzu Hamburgas iela divini, guten Morgen - bitte Hamburger Straße 9.
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Danke für die :blureich:
      Mir macht das halt Spaß, mit Sprachen zu jonglieren.


      Der Taxler hatte meinen Wunsch wohl verstanden - allein er kannte sich nicht aus und musste unterwegs an einer Telefonzelle halten, um nach dem Weg zu fragen. Dabei waren wir, wie sich hinterher herausstellte, schon fast da.


      Es ist im Übrigen kein Vertrauensbruch, dass ich die Adresse hier genannt habe, denn mein Onkel wohnt nicht mehr dort, weil er jetzt im Ruhestand ist. Und Hamburgas iela 9 ist eine offizielle Adresse, nämlich die der Botschaftsresidenz, d.h. der Botschafter und sein evtl. vorhandene Familie samt Gästen (wie ich für 1 Woche) wohnt dort (die Botschaft ist woanders, nämlich mitten in der Stadt). Am Gartentor (der Zaun ist sehr stabil und ca. 2 Meter hoch) ist ein bemanntes Wächterhäusl, in dem immer einer drin sitzt und Dir, sobald er Dich kennt, den Türöffner betätigt. So hat man keinen Stress mit Schlüsselverlieren, und für einen Chaoten wie mich ist das schon eine Erleichterung.

      Der Stadtteil heisst übrigens Meža Parks und liegt im Norden der Stadt. Die meisten Straßen sind, wie Hamburgas iela, nach Hansestädten benannt, und das Ganze ist ein ruhiges Villenviertel mit großen zum Teil sehr hübschen Hausern; leider sind einige (oder waren es 2002) einsturzgefährdet oder im Einzelfall auch schon durch hässliche Protzbauten ersetzt. Bevor - nach der Unabhängigkeit 1991 - das Haus Hamburgas iela 9 Botschaftsresidenz wurde, diente es dem für die baltischen Sowjetrepubliken (d.h. die heutigen Staaten Estland, Lettland und Litauen) zuständigen Kommandeur der Sowjetarmee als Wohnsitz.


      Aber ich greife vor - an diesem Morgen, der grad erst begonnen hatte, war ich nur noch müde und purzelte, nachdem man mir mein Bett zugewiesen hatte, ohne weitere Kommentare in dasselbe :bett1:

      Was ich - jetzt ausserhalb von Riga und des Geistes des Vorbewohners der Botschaftsresidenz, General Iwan Christoforowitsch Bagramjan, ebenfalls vorhabe.

      :gunae:
      Ar labu nakti :lettlandsm:

      Spokojnoj notschi (falls mich der General doch noch hört).


      P.S.
      Dieses System kann leider keine kyrillische Schrift :gruebel:
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Nach dem Frühstück, das infolge meiner Übernächtigung erst gegen Mittag stattfand, suchte ich mir erstmal die nächste Straßenbahn (tramvaj), in Gestalt einer ca. 40 Jahre alten Tatra-Rumpelkiste. Eine ältere, russisch sprechende Schaffnerin verkaufte mir einen Zettel, auf der stand nichts als die Zahl 20, und nahm mir folgerichtig 20 Samtim ab.
      Inzwischen (2008) kostet es, wie in diesem :link: (etwas nach unten scrollen) berichtet wird, 50 beim Fahrer
      (die Schaffnerinnen sind inzwischen wohl eingespart) und 40 am Kiosk.

      Endstation, und am nächsten am Zentrum, ist die Radio iela (iela = Straße), von dort ist es nicht weit zum Markt,
      dessen Bild Thommy in die Landesmonats-Lettland-Seite reingesetzt hat.
      ich hoffe, es ist Dir Recht, lieber Thommy- und dankschön auch :hut:



      Ich glaub, unter einem der Paulaner-Schirme hab ich mein erstes lettisches Bier (kein Paulaner) getrunken,
      die Service-Kräfte sprachen englisch (und russisch).



      (aus Wikipedia: Die 4 Kuppelbauten überdachen den Zentralmarkt)

      Der Hauptbahnhof liegt am Rand der Altstadt, unweit des Zentralmarkts.
      Dahinter erstreckt sich die Moskauer Vorstadt, die, wie der Name suggeriert, schwerpunktmäßig von Russen bewohnt wird. Insgesamt ist etwa jeder 2. Bewohner Rigas russischer Abstammung.

      Schon die Stände auf dem Zentralmarkt sind oft zweisprachig ausgeschildert. Ein Stückchen weiter findet man einen Metallmarkt, auf dem man von einer einzelnen Schraube bis zur kompletten Wasserleitung am Stück (die so aussieht, als ob sie russische Armeeangehörige vor dem Abzug aus ihrer Kaserne in der Ex-DDR rausgerissen hätten) findet man fast alles.
      Ich finde das praktisch mit den einzelnen Schraubenschlüsseln etc.
      Verliert man doch aus Schrauben/Schlüsselsätzen als erstes das Teil, was man am häufigsten braucht. Es gelingt mir trotz meiner geringen Russischkenntnisse (allerdings etwas besser als mein Lettisch), für 50 Santim eine 13er Nuss zu erstehen, die in meinem Werkzeugkasten wieder mal gefahlt hat.

      Architektonisch ist die Moskauer Vorstadt ein Sammelsurium.
      Neben einer orthodoxen Kirche, in dem grad bei offener Tür ein (schlecht besuchter) Gottestdienst läuft, haben sich die russischen Beatzer nach dem 2. Weltkrieg mit dem Kulturpalast verewigt, so hat man als Tourist wenigstens einen Orientierungspunkt.

      (aus Wikipedia)

      Die Rigaer Synagoge existiert nur noch als Ruine.
      Am 4. Juli 1941 wurden von lettischen SS-Hilfstruppen dort mehrere 100 Menschen in die Synagoge getrieben, zusätzlich zu den etwa 300 obdachlosen aus Deutschland Deportierten, die Türen mit Brettern vernagelt und die Synagoge angezündet.

      Später wurde die Ruine dem Erdboden gleichgemacht,; über der Asche der Ermordeten entstand ein Park.
      Erst 1988 wurde eine Gedenktafel angebracht und später die Ruinen der Kellerräume freigelegt :link:
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Ist jetzt ziemlich genau zehn Jahre her, dass ich diese Reise gemacht habe. Entsprechend groß sind die Erinnerungslücken. Mal schaun, was mir noch einfällt.

      Unter der Bahnhofsunterführung in Riga waren jede Menge Verkaufsstände, meist russischsprachig. Eine Karte hab ich gekauft und leider verloren. Sie zeigt eine Katze mit einer Sprechblase (in kyrillischer Schrift natürlich):
      GAF GAF !
      Das heisst WAU WAU, so bellt der russische Hund.
      Was drunter stand hab ich vergessen.
      Evtl. sowas wie: Wenn Du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie.
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -

      RE: Grizzlys Lettlandreise 2002

      P.S.
      Original von Grizzly
      Mit der Bahn über Polen und Litauen isses eine tierische Gurkerei - zwei Nächte und den Tag dazwischen verbringt man in insgesamt acht Zügen, so dass man, Verspätungen nicht eingerechnet, ab Hamburg Hbf. 38 1/2 Stunden unterwegs ist.

      Geht immer noch nicht schneller (auch ohne Lokführerstreik), zumal ich übersehen hab, dass die Strecke zu allem Überfluss noch ein Stück durch Weissrussland geht, d.h. man bräuchte wohl ein Visum.
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -