Grizzlys schwedisches Diätasyl

      Grizzlys schwedisches Diätasyl

      I.
      Die letzte Zeit hab ich mich um Flüchtlinge gekümmert, jetzt brauche ich selber Asyl. OK keine Angst, ich werde nicht politisch verfolgt. Aber wegen meines Diabetes muss ich zwischendurch eine Diät machen dh nur Gemüse, keine Kohlehydrate, keine tierischen Eiweisse und Alkohol schon gar nicht. Erfahrungsgemäß bin ich in so einer Lage äusserst schlecht gestimmt und eine Belastung für meine Umwelt, deshalb hat mich meine Frau auf die Reise geschickt, da das wiederum meine Stimmung aufhellt. Und bei der Haushälterin meiner letztes Jahr verstorbenen Tante hab ich Asyl bekommen, auf einem Bauernhof in der Nähe von Ulricehamn, bis Anfang April. Heut früh hab ich in Göteborg die Fähre verlassen.

      Noch war ich gar nicht im Quartier, weil meine Gastgeberin auf Arbeit ist, sondern hab erstmal in Ulricehamn eingekauft. Und mich gewundert, dass man auf einer Bank keine Euro-Scheine wechseln kann. Dazu müsste ich nach Borås, meinte die Banktante. Warum nicht nach Stockholm? fragte ich. "Borås ist näher." Gut, dass man das auch mal erfährt.

      Ansonsten gibt es neue Fünfkronenmünzen, die nicht in die Toilettentür-Automaten passen. Die ICA-Kassiererin wirft meine Einer in einen Automaten, der im 3. Anlauf tatsächlich einen alten Fünfer ausspuckt. Vielleicht kann man ja eine Lotterie drauss machen ?


      Ganz rechts: "Meine" Stuga.


      Zum Baden isses noch ein bissl zu kalt ...


      ... aber nicht für Schwanens.

      II.
      Gestern Abend war ich nochmal los, zum ICA in Fristad, weil nur 10 km statt 25 bis Ulricehamn. Wobei ich beim letzteren einigermaßen Bescheid weiss, wo was steht, und der in Fristad ist Neuland. Hauptanliegen ist der Erwerb koffeinfreien Kaffees, den ich wegen meines Bluthochdrucks vorziehe (man wird nicht jünger).

      Ich weiss, dass die Schweden große Kaffeetrinker sind. Meine Tante, die mehr als zwei Drittel ihres 95jährigen Lebens hier verbracht hat, war da keine Ausnahme. Sie trank ihn pechschwarz, weshalb bei meinen Besuchen einer meiner ersten Wege der zur Nachbarin war, um Milch zu schnorren. Das erzählte sie noch bei der Trauerfeier für meine Tante, und ich erfuhr bei der Gelegenheit, dass es für letztere unverständlich war, wie man einen Kaffee so "förstöra" kann. Freundlich, wie sie war, hatte ich das zu ihren Lebzeiten nie zu hören bekommen.

      Jetzt steh ich also vor einem riesigen Kaffeeregal und versuche mich mit meinem A2-Bröselschwedisch durch die Aufschriften zu kämpfen. "Eco" bringt mir nix, nach irgendeiner mir unverständlichen Art "röstad" auch nicht.
      Ich frage eine Angestellte. Die fängt an, mit gerunzelter Stirn zu suchen, wird aber nicht fündig, auch nicht nach telefonischer Rückfrage. Schliesslich erklärt sie, das Gesuchte "tyvärr" derzeit nicht im Sortiment zu haben. "So eine deutsche Perversität führen wir nicht", hätte sie noch gesagt haben können, hat sie aber nicht - Schweden sind ja höfliche Menschen, zu mir wenigstens.

      Holz ist hier ein wichtiger Wirtschaftszweig.

      Und die liegen gelassene Motorsäge samt Benzinkanister und Werkzeugkasten zeugt von dem Vertrauen,
      dass die Besitzer noch in ihre Mitmenschen haben.
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      III. (25.3.)

      Das einzige in S erhältliche koffeinfreie Kaffeepulver ist offensichtlich eine Art Necafe, das sogenannte Snabbpulver. Das bekam ich von meiner Wirtin, als ich unverrichteter Dinge von meinem Einkaif zurück kam. Ansonsten kämpfe ich mich durch die Gemüse-Kühlgerichte bei ICA (landesweit vertretene Supermarkt-Kette) sowie durch die Salattheke (besser bestückt als in Deutschland), denn der große Koch und Gemüseschnibbler bin ich nicht.

      Ansonsten "fresse" ich anstatt verbotener Lebensmittel Kilometer mit dem Auto. Am Mittwoch war ich am Hornburgasjön bei den mittlerweile 4600 angekommenen Kranichen, die schon jetzt einen Höllenlärm veranstalten - die aus dem Lateinischen kommende zoologische Bezeichnung grus gibt den Ruf dieser Vögel lautmalerisch gut wieder. Bilder kann ich Euch mit dem Smartphon leider keine bieten. Irgendwo hier im Forum müsste noch ein alter Beitrag dazu von mir sein, ebenso zum Komosse, wo ich gestern war.

      Durch dieses Hochmoorgebiet gibt es einen Bohlenweg. Waren es bei meinem ersten Besuch 1994 noch zwei parallele Bretter, die einen vor nassen Füßen bewahrten, sind es inzwischen vier. Neuster Schrei: Ein darüber gelegtes Drahtgitter, das wohl das halkrisk (Rutschrisiko) minimieren soll. OK es kann einen, wenn diese Better nass sind, bös auf die Nase hauen, ist mir auch schon passiert. Aber wenn man auf das Drahtgitter fällt, ist das Verletzungsrisiko m.E. weitaus höher. Zudem stört mich der metallische Klang bei Drüberlaufen, hört sich irgendwie unnatürlich an.

      Seit neusten - das Holz ist noch ganz frisch - führt von östlichen Teil dieses Rundkurses ein Stichweg zu einem Aussichtsturm, der ist noch gar nicht auf den Plänen drauf.

      Inzwischen sind die Haare trocken - den Fön hab ich daheim vergessen - und ich kann mir eine neue Tour vornehmen.
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      IV. (26.3.)

      Ich war gestern am Taberg, so wie schon vor 10 Jahren, damals erwischte ich mit viel Glück eine deutschsprachige Grubenführung, inklusive Anrufung des Berggeistes im Stollen. Soviel Glück hatte ich diesmal nicht, alles war verriegelt und verrammelt. Auf dem folgenden Weg zum "Topp" war etwa 500m vorm Gipfel die Zufahrtsstraße für Autos gesperrt, also weiter zu Fuß. Dafür hatte ich den Topp für mich allein.

      Während der Saison kann man wohl hochfahren, oben gibt's ein Cafe und man kann (deshalb muss man unbedingt auf diesen aussergewöhnlichen Berg) Minigolf spielen - vielleicht um die Kinder bei Laune zu halten und selber in Ruhe seinen Kaffee trinken zu können. Ob's hilft ? Ansonsten findet man fort ein paar Gedenksteine für diverse Könige inklusive des aktuellen, die dem Berg ihre Aufwartung gemacht haben.

      Ungewöhnlich ist der Berg weniger wegen seiner absoluten Höhe von 342m über dem Meeresspiegel, sondern weil er zum einen 150m über seine Umgebung hinaus ragt. Zum andern wurde seit Jahrhunderten dort Bergbau betrieben und Eisenerz gefördert, insbesondere Titanomagnetitolivinit (bitte nachsprechen), was äusserst selten ist und im 2. Weltkrieg v.a. für die Rüstungsindustrie von NS-Deutschland von Bedeutung war. Später war der Abbau von Vanadium im Gespräch, aber das scheiterte zum Glück an ökonomischen Erwägungen und auch am Widerstand der aufkommenden Naturschutzbewegung - ersteres steht bei Wikipedia, letzteres hat uns damals der Grubenführer erzählt, die Entscheidung war wohl knapp.
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      V. (27.3.)

      Gestern war ich mit meiner Gastgeberin bei einer Freundin meiner Tante, die wie diese in den 50ern aus Deutschland eingewandert ist. Zeitweise haben wir uns auf Deutsch unterhalten, wobei dann meine Gastgeberin nichts verstand, zeitweise versuchte ich, bei der schwedischen Kommunikation mitzuhalten und manchmal tauschten sich die beiden über Frauenthemen aus, ohne dass ich viel mitbekam. Denn einer Kommunikation zwischen zwei Schwedinnen zu folgen, dafür reicht's bei mir nicht.

      Irgendwann bei einem solchen Frauenthema fiel öfter das Wort "Sudek". Nun kenne ich aus der Medizin eine Sudeck-Dystrophie, das ist eine gefürchtete Komplikation nach einem gelenksnahen Arm- oder Beinbruch.
      Ich fragte nach und erfuhr, dass von "surdeg" dh Sauerteig die Rede war - es ging um selbstgebackenes Brot. Das übrigens sehr lecker war, Diät hin oder her.

      Es gibt Wörter in einer Fremdsprache, die man nicht mehr vergisst.
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      VI. (29.3.)

      Seit die Autobahn zwischen Borås und Ulricehamn fertig ist, verlieren sich auf dem parallel verlaufenden RV 40 nur noch wenige Fahrzeuge. Die drei Radarfallen stehen da immer noch, netterweise vorher angekündigt wie landesüblich. Wobei es das für mich nicht mehr bräuchte - ich kenne sie so gut, dass ich ihnen schon Namen gegeben habe, gute schwedische Königsnamen: Gustaf, Karl und Oskar (von West nach Ost).
      Karl ist der gefährlichste, an der Vings Kyrka 10 km westlich von Ulricehamn. Da darf man nur 60 (bei den anderen 80), und das macht auch Sinn, denn, wie ich höre, hat es da schon bös gekracht, auch mit Toten.
      :reg:
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      VII. (1.4.)

      PS
      Gustaf blitzt nur in Richtung Ulricehamn (Nähe Abfahrt Nitta), in Richtung Borås steht nix.


      Heut ist mein letzter Tag. Die Stuga ist schon geräumt, die Schwiegertochter meiner Gastgeberin betrachtet verwundert die neuen Fünfhunderter, die sie noch nie gesehen hat, weil sie alle größeren Transaktionen bargeldlos bzw. mit Karte regelt. Offensichtlich zahlen immer mehr v.a. junge Schweden fast nur noch mit Karte, so jedenfalls mein Eindruck.

      Auf Anraten einer anderen Freundin hab ich bei einem Banktermin in anderer Sache meinen gesamten Kronenbestand überprüfen lassen, was davon demnächst ungültig wird und was nicht. Ergebnis: Die Scheine (20, 50, 100, 200 und 500 SEK) sind alle aktuell, lediglich einige Einer- und Fünfermünzen muss ich bis zum 1.6. verprassen, sonst krieg ich dafür nix mehr. Wobei ich Zweifel habe, ob bis dahin alle Toilettentür-Automaten umgerüstet sind - sicherheitshalber heb ich mir einen Fünfer auf.
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      VIII. (1.4.)

      PS II
      Wenn man auf den västergötländischen Landstraßen gemütlich unterwegs ist, kann auch eine kürzere Strecke zum Tagesausflug werden. Dann nämlich, wenn man allen unterwegs auftauchenden Wegweisern zu eiszeitlichen oder mittelalterlichen Natur- oder Kulturdenkmälern folgt. In der Nähe von Timmele, diesbezüglich besonders reich ausgestattet, gerate ich so auf einen eben noch befahrbaren Waldweg, der mich zur Burgruine Vädersholm führt. Von der Ruine sind ausser Gräben, Hügeln und Mauerresten nicht viel übrig, aber man hat eine schöne Aussicht.

      Kurz davor, an der zum Radwanderweg umgestalteten ehemaligen Bahnstrecke Ulricehamn-Falköping, komme ich an eine Brücke, auf der sich grad ein paar Arabisch sprechende Kinder zum Phototermin aufgebaut haben. Ich warte natürlich, um nicht versehentlich mit aufs Bild zu kommen, aber die Mutter bittet mich eifrig winkend mit dazu. "Shukran", sage ich, "afwan" die erfreute Antwort. Danach geht jede/r seiner Wege.

      Jetzt bin ich wahrscheinlich in irgendeinem syrischen Photoalbum, als der Schwede, der sich in ihrer Muttersprache bedanken kann.
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      - Kurt Tucholsky -
      IX. (2.4.)

      Heimreise war unkompliziert, diesmal Kabine mit Fenster zum Meer, breites Bett (Gesamtpreis incl. Auto: 305 € dh so niedrig wie noch nie. Restbestand an auslaufenden Kronen incl. 2 Fünfer: 12 SEK dh knapp 2 Euro. Das ist verkraftbar.
      LG Grizzly.
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      - Kurt Tucholsky -
      Die Berichte sind vor Ort geschrieben, Bilder konnte ich da nicht bearbeiten,
      deshalb jetzt nach- und zum Teil oben eingeschoben..


      22.3. Kraniche und anderes Gefieder zum Ersten:







      Konflikte scheint es nur unter Artgenossen zu geben, Vögel anderer Spezies werden "geduldet".





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      25.3.
      Durch das Komosse gibt es einen Bohlenweg. Waren es bei meinem ersten Besuch 1994 noch zwei parallele Bretter, die einen vor nassen Füßen bewahrten, sind es inzwischen vier. Neuster Schrei: Ein darüber gelegtes Drahtgitter, das wohl das halkrisk (Rutschrisiko) minimieren soll. OK es kann einen, wenn diese Better nass sind, bös auf die Nase hauen, ist mir auch schon passiert. Aber wenn man auf das Drahtgitter fällt, ist das Verletzungsrisiko m.E. weitaus höher. Zudem stört mich der metallische Klang bei Drüberlaufen, hört sich irgendwie unnatürlich an.



      Seit neusten - das Holz ist noch ganz frisch - führt von östlichen Teil dieses Rundkurses ein Stichweg zu einem Aussichtsturm, der ist noch gar nicht auf den Plänen drauf.





      Am Wendepunkt der Bohlenwege, auf der lilla Björnön, gibt es einen See.



      Wenige Schritte vom Ufer stößt man auf eine Ansammlung von fünf Steinen, dem Femstenaröset.

      Den größten in der Mitte bezeichnet man als Herzstein, er markiert die Grenze zwischen Västergötland und Småland.
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      - Kurt Tucholsky -
      Zum Taberg (25.3.):

      Im gleichnamigen Ort fährt man Richtung Bahn und folgt dann dem Hinweis GRUVAN.





      Die Grube selber ist natürlich, da keine Saison, verriegelt und verrammelt.
      Da geht man lieber noch ein Stück den Fluss hoch, an der alten Mühle vorbei ...

      die schon bessere Tage gesehen hat.





      Bevor es dunkel wird und man keine Aussicht mehr hat, gehen wir lieber zum Auto zurück und fahren auf den Toppen.


      Uups ... letztes Mal ging das noch.

      Diese Sperre liesse sich theoretisch öffnen,

      aber praktisch lässt man das als braver Schwedentourist lieber und geht den Kilometer zu Fuß.

      Das Cafe hat wie erwartet geschlossen,


      und die Aussicht bis hin zum Vättern hab ich für mich alleine.


      Minigolf brauch ich jetzt nicht, das nötige Gerät hab ich ohnehin nicht dabei.


      Ein Stück weiter unten geht ein Weg zum ein paar Meter niedrigeren Västra Toppen (das eben war der Södra), da schauen wir noch hin, bevor es ganz dunkel wird. Die Aussicht von dort ist nicht ganz so spektakulär wie die vom Södra,


      dafür kann man sich beim Abstieg bös verlaufen, zumal keine Ausschilderung.

      Merke: Der LINKE Weg ist der richtige.
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      Am 28. und 30.3. war ich nochmal bei den Kranichen, es ist immer wieder eindrucksvoll.











      Wobei es ja nicht nur Kraniche sind -
      aber überwiegend.

      Zwischendrin hab ich einen Abstecher zur Gudhems Klosterruin gemacht und nachgeschaut, ob das Vogelnest in der Lüftungsluke der Kirchentoilette noch existiert, das ich vor acht Jahren das erste Mal entdeckt hab - es sieht ziemlich frisch aus, war letztes Jahr wohl besetzt, und es spricht nichts dagegen,
      dass die Piepmätze (Schwalben ?) dieses Jahr wieder kommen.
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      - Kurt Tucholsky -