"Schläge, bis die Kinder zu Boden gingen"
Der Chor der Regensburger Domspatzen ist weltberühmt. Doch in seinem Internat spielten sich bis weit in die 90er-Jahre hinein Gewaltexzesse gegen Schüler ab. Was wusste Chorleiter Georg Ratzinger?
"Liebe Eltern, mir geht es gut, wie geht es euch?" Mit dieser Floskel mussten Schüler am Internat des Domspatzen-Chores in der Vorschule in Etterzhausen und später Pielenhofen (Landkreis Regensburg) regelmäßig Briefe an ihre Eltern beginnen. Die Briefe wurden zensiert – von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern, die im Alltag die Dritt- und Viertklässler prügelten, was das Zeug hielt.
Das ist das Ergebnis eines Berichts über Prügelstrafen im Internat der Domspatzen. Die Gewalt war weit bis in die 90er-Jahre gang und gäbe für die zehn- bis elfjährigen Sängerknaben. Nach sexuellen Übergriffen, die an Internatsschülern inzwischen vor allem für die 60er-Jahre gut dokumentiert sind, gesellen sich nun noch grauenhafte Schilderungen von Prügel und Züchtigungen.
Insgesamt 72 ehemalige Grundschüler, die im Landkreis Regensburg die Vorschule des weltberühmten Chors besucht hatten, meldeten sich bei der Diözese, seit Missbrauch- und Prügelvorwürfe durch den Direktor des Canisius-Kollegs in Berlin aufgedeckt worden waren. Das war 2010; die Domspatzen und das Bistum Regensburg hatten bis heute eher den Kopf eingezogen, als sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen – zumindest öffentlich. Erst am 25. Januar dieses Jahres entschuldigte sich der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer im Dom bei den Opfern sexuellen Missbrauchs, aber auch bei geprügelten und gezüchtigten früheren Domspatzen.
Bis in die 80er-Jahre galt in Deutschland das sogenannte Züchtigungsrecht. Rechtsanwalt Andreas Scheulen, der die Vorwürfe für das Bistum juristisch geprüft hat, kommt nun zu dem Ergebnis, "dass diese Prügel auch unter dem Züchtigungsrecht strafbar gewesen wären". Die Schläge bei den Domspatzen seien eben nicht bloße Ohrfeigen gewesen, sondern deutlich mehr, so der Anwalt. Er wertet die jahrelangen Prügelorgien als "gefährliche Körperverletzung." Allerdings seien die Fälle allesamt verjährt.
Dass die Vorwürfe erst jetzt aufgearbeitet werden, mag auch daran liegen, dass 2010, als die Missbräuche in der Katholischen Kirche ruchbar wurden, der Papst noch Benedikt XVI. hieß. Joseph Ratzinger, der frühere Pontifex, ist der Bruder von Georg Ratzinger. Und der leitete zwischen 1964 und 1994 als Domkapellmeister den Domspatzen-Chor.
Welche Verantwortung trägt Georg Ratzinger für die Vorgänge? Dass er sogar selbst zugeschlagen hatte, hat der inzwischen über 90-Jährige vor knapp fünf Jahren bereits zugegeben. "Watsch'n" nennt man das in Bayern – und es gab und gibt viele, die eine solche nicht sonderlich dramatisch finden. In der Tat ist bekannt, dass der damalige Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, heute mächtiger Glaubenspräfekt und einer der wichtigsten Kurienkardinäle im Vatikan, nicht besonders an Aufklärung interessiert war.
Ganzer Text: welt.de/politik/deutschland/ar…nder-zu-Boden-gingen.html
Es stellt sich immer mehr heraus, das kirchliche Internate vor allen in den 50er/60er Jahren, aber - wie in Regensburg - teilweise auch noch lang danach, ein Hort der Gewalt waren, die weit über die übliche "Schwarze Pädagogik" und die bis in die Achtziger verbreiteten "Erziehungsratgeber" der NS-Pädagogin Johanna Haarer hinaus gingen. Ähnliche Prügelorgien werden auch über den evangelischen Windsbacher Knabenchor und seinen Gründer Hans Thamm berichtet:
spiegel.de/panorama/gesellscha…ichter-tuer-a-684604.html