Kind Nr. 95

      Kind Nr. 95

      Dezember 1979: Die 7-jährige Lucia Engombe aus Namibia findet sich plötzlich in einem Kinderheim in Mecklenburg-Vorpommern wieder. Von einem Tag auf den anderen wurde sie mit 79 anderen Kindern in die DDR geflogen. Direkt aus dem Urwald, wie sie sagt. Das Mädchen selbst hatte der Reise zugestimmt, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, was sie in Deutschland erwartet. Sie wollte nur der bitteren Armut entfliehen. Der Vater war als Mitglied der namibischen Unabhängigkeitsbewegung SWAPO, gegen die die südafrikanische Protektoratsmacht einen erbitterten Kampf führte, untergetaucht, die Mutter in einem Gefangenenlager in Sambia.

      Völlig isoliert und einsam wachsen die namibischen Kinder im sozialistischen Deutschland auf. Im Kinderheim Bellin, einem alten Schloss in der Nähe von Güstrow, wird bedingungsloser Gehorsam und eiserne Disziplin verlangt. Was die Kinder erst langsam begreifen: Sie sollen im Auftrag der SWAPO zur neuen Führung eines zukünftigen unabhängigen Namibia ausgebildet werden. "Ich denke schon, dass wir damals manipuliert wurden. Es hieß für uns: Die SWAPO befreit Namibia, die SWAPO ist für euch da", erinnert sich Lucia. Sogar für den Einsatz im Krieg wurden sie gedrillt.

      Elf Jahre später, August 1990: Nach dem Fall der Mauer will in Deutschland keiner mehr die so genannten "DDR-Kinder" haben. Über Nacht werden sie in eine ihnen fremd gewordene Heimat zurückgebracht. Die 18-jährige Lucia findet als "Kind Nr. 95" in den Slums von Windhoek ein neues Zuhause. Auch dort ist sie unerwünscht. "Hinterher, als wir nach Namibia zurückkamen, hat die SWAPO uns fallen lassen. Die haben uns nur ausgenutzt." Die Mutter ist eine fremde Frau, mit der sie sich nicht einmal verständigen kann, denn Lucia spricht nur Deutsch. Für das junge Mädchen beginnt eine qualvolle Zeit der Neuorientierung und Selbstfindung. Jahre später veranlasst sie ein Foto ihrer Mutter aus glücklicheren Tagen, sich auf die Suche nach ihren Wurzeln zu begeben. "Damit ich die fast unbekannte Frau auf dem nachträglich eingefärbten Bild verstehen konnte. Und vielleicht so lieben, wie ich mich mein Leben lang nach ihrer Liebe gesehnt hatte", schreibt Lucia im Vorwort ihres Buches. "Der eigentliche Grund, warum ich das Buch geschrieben habe, ist der, dass mein Vater, meine Familie und ich so viel durchgemacht haben. Das war für mich die beste Medizin, ein Buch zu schreiben, damit ich mich von dieser Last befreie, die ich so lange auf meinen Schultern getragen habe."


      Quelle: wdr.de/tv/kulturweltspiegel/20041031/6.html

      Als Student hab ich die SWAPO und andere Befreiungsbewegungen unterstützt, bin auch noch heute davon überzeugt, dass dieser Befreiungskampf notwendig war. Wie diese Leute allerdings miteinander umgegangen sind, stand und steht auf einem anderen Blatt - das Buch von Lucia Engombe hat mir da bittere Wahrheiten aufgezeigt.

      Die Autorin hat kürzlich eine Deutschlandreise unternommen und ist hier auch im TV aufgetreten. Ein Bekannter sagte mir, dass sie mittlerweile als Beraterin ausländischer Investoren in Namibia arbeitet.
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      Persönliche Erfahrungen/ Erlebnisse habe ich diesbezüglich nicht, doch viel gelesen.
      Ob alles stimmt? Ich weiß es nicht.

      Auf jeden Fall bin ich dankbar für derartige Bücher.
      Und das von Dir beschriebene scheint lesenswert zu sein.
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)