Oktoberfestattentat 1980 - kein Verbrechen eines "verwirrten Einzeltäters"

      Oktoberfestattentat 1980 - kein Verbrechen eines "verwirrten Einzeltäters"

      Am 26. September 1980, kurz vor den Bundestagswahlen, bei denen der umstrittene bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauss (CSU) gegen den amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt antrat, explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe. 13 Menschen starben, darunter (einer) der Täter, der rechtsradikale Student Gundolf Köhler. Viele wurden schwer verletzt, verloren zum Teil beide Beine.

      Die staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden - gegen den erklärten Widerstand von Opfern und diverser Politiker - bald eingestellt; Köhler sei Einzeltäter gewesen und, weil tot, nicht mehr zu belangen. Überdeutliche Hinweise auf weitere Täter blieben unberücksichtigt.
      Jetzt hat ein Duisburger Historiker erklärt, die NATO und der Bundesnachrichtendienst seinen an dem Verbrechen beteiligt gewesen, namentlich sein Vater, ein Bundeswehrhauptmann und bekennender Rechtsradikaler.
      Der Duisburger Historiker Andreas Kramer hat in dieser Woche vor dem Luxemburger Kriminalgericht unter Eid ausgesagt, sein Vater habe dieses und andere Attentate eingefädelt.

      Kramer senior – ein Bundeswehr-Hauptmann, der auch für den BND gearbeitet haben soll –, hat demnach den aus US-Beständen stammenden Sprengstoff mit Hilfe des niederländischen Militärgeheimdienstes beschafft. Er habe auch den Bau der Bombe überwacht und den Attentäter Gundolf Köhler angeworben, sagte Kramer. Er habe in Deutschland etwa 50 geheime Waffenlager für die »Stay-behind«-Truppe der NATO angelegt und überwacht. Ihm hätten 350 Mann unterstanden, die vorwiegend in rechtextremen Kreisen rekrutiert worden seien.

      Sein Vater sei im November gestorben, sagte Kramer weiter. Erst jetzt fühle er sich frei, sein Hintergrundwissen preiszugeben. Er werde dem Gericht Dokumente vorlegen, die seine Aussagen untermauern.

      Auch bei den 18 Anschlägen, die es zwischen 1984 und 1986 in Luxemburg gab, sei sein Vater der Strippenzieher gewesen, sagte Kramer weiter. Wegen Beteiligung an dieser Bombenserie müssen sich zur Zeit zwei ehemalige Polizeibeamte vor dem Kriminalgericht verantworten. Kramer hatte davon erfahren und sich sofort als Zeuge zur Verfügung gestellt. Die Luxemburger Staatsanwaltschaft hat zusätzliche Kriminalisten angefordert, die den Vorwürfen nachgehen und auch den Nachlaß von Kramer senior sichten sollen. ( ... )

      Parlamentsausschüsse in Italien und Belgien hatten schon Anfang der 90er Jahre nachgewiesen, daß geheime NATO-Truppen in Mord- und Bombenanschläge in beiden Ländern verwickelt waren. Dazu gehörte die Explosion auf den Bahnhof der nord italienischen Stadt Bologna, bei der 1980 85 Menschen getötet wurden. In der belgischen Provinz Brabant hatten zwischen 1982 und 1985 Vermummte wahllos in Supermärkte hineingeschossen und 28 Menschen umgebracht.

      Wie der Schweizer Wissenschaftler Daniele Ganser herausfand, gab es ähnliche Aktionen auch in anderen NATO-Staaten – strategisches Ziel sei es gewesen, diese Anschläge Linken in die Schuhe zu schieben und so einen Rechtsruck zu befördern.

      Quelle: jungewelt.de/2013/04-13/061.php
      Interview mit Andreas Kramer: jungewelt.de/2013/04-13/003.php
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      - Kurt Tucholsky -
      Das Oktoberfest-Attentat incl. kritischer Auseinandersetzung mit der mutmaßlichen staatlichen Lüge vom Einzeltäter wurde inzwischen verfilmt.
      Eigentlich sind es Bilder, die man schon tausendmal gesehen hat: der Oktoberfestumzug, der Oberbürgermeister beim Anzapfen, feiernde Menschen in den Bierzelten. Doch der Zuschauer weiß, was jetzt gleich passiert. Es sind Bilder aus dem Jahr 1980. Aufgenommen, kurz bevor es passierte. Kurz vor einer der größten Tragödien, die der Freistaat Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat.

      Es reichen diese Original-Szenen, mit denen der Spielfilm "Der blinde Fleck" beginnt, und sofort sind die Erinnerungen an das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest wieder wach. Die Angst vor dem Terror, die Bilder der vielen Opfer. Am Dienstagabend ist im Bayerischen Landtag der gerade fertiggestellte Film präsentiert worden. 300 Gäste sind gekommen, um sich im ehrwürdigen Senatssaal das Werk von Regisseur Daniel Harrich anzuschauen.

      Kein Tag wäre für diese Vorführung geeigneter gewesen als dieser Dienstag. Am Nachmittag hatte noch der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag getagt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat dort ausgesagt, genauso wie der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU).

      Am Abend im Kino geht es dann um das Wiesn-Attentat, bei dem 1980 13 Menschen starben und 211 weitere verletzt wurden. Der damals 21-jährige Student Gundolf Köhler wurde als Einzeltäter ausgemacht. Doch bis heute gibt es Zweifel an dieser Theorie. Der Verdacht, eine rechtsradikale Vereinigung wie die Wehrsportgruppe Hoffmann könnte hinter dem Attentat stecken, hält sich bis heute. Und da ist sie schon, die Parallele zur NSU-Mordserie. Auch hier verfolgte man erst jahrelang andere Spuren, bis im November 2011 die Wahrheit über die rechte Terrorzelle ans Licht kam.

      Ganzer Text: sueddeutsche.de/muenchen/film-…zweifeln-lassen-1.1694697
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      - Kurt Tucholsky -
      Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zum Hergang dieses Verbrechens wieder aufgenommen - die Einzeltätertheorie, die viele nie glaubten, wankt.
      Die Frau, die heute behauptet, sie habe im Zusammenhang mit dem Oktoberfest-Attentat am 26. September 1980 eine merkwürdige Entdeckung gemacht, hat die Bundesanwaltschaft beeindruckt. So sehr, dass man in Karlsruhe beschloss, die Ermittlungen zum schlimmsten Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik wieder aufzunehmen. Das Landeskriminalamt in München wurde jetzt beauftragt, nach weiteren Tätern zu suchen.

      Denn nur ein Täter war immer bekannt: Gundolf Köhler, 21 Jahre, Student und Einzelgänger mit rechtsextremen Kontakten. Köhler hatte an jenem 26. September um 22.19 Uhr eine sehr komplexe, selbstgebaute Bombe in einen Abfalleimer am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes gelegt. Der Sprengsatz ging sofort los, Köhler wurde zerrissen, mit ihm starben 13 Wiesn-Besucher qualvoll. 200 wurden zum Teil schwerst verletzt, sie verloren Gliedmaßen oder ihr Augenlicht.

      Dass Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und Polizei damals von Ermittlungen im extremistischen Umfeld Köhlers zu schnell abließen, dass Spuren nicht gesehen, Zeugen nicht geglaubt wurde und dass wichtige Asservate mit DNA-Spuren inzwischen vernichtet sind, darüber wurde in den vergangenen Jahrzehnten zuhauf berichtet. Aufgrund der zusammengetragenen Puzzleteile sind sich Politik und Öffentlichkeit seit vielen Jahren einig: Köhler konnte den Terroranschlag nicht allein vorbereitet und durchgeführt haben.

      Doch weder Aussagen von Zeugen, die damals verdächtige Beobachtungen gemacht haben wollen, noch die vor vier Jahren freigegebenen Akten zu dem Anschlag brachten eine konkrete neue Spur.

      Wer nie aufgab, war der Münchner Anwalt Werner Dietrich. Dietrich vertritt einige Opfer des Attentats. Ihm gelang es im Sommer, nochmals 28 Ordner zu sichten, die bislang beim LKA Bayern unter Verschluss lagerten. Darin fand er zumindest eine der Öffentlichkeit noch unbekannte Verbindung zu dem Rechtsradikalen Heinz Lembke aus Niedersachsen.

      Offenbar gab es kurz nach dem Anschlag eine Zeugenaussage, Lembkes Waffen- und Sprengstoffarsenal hänge mit Köhlers Tat zusammen. Die Polizei fand bei Lembke jedoch nichts. Erst ein Jahr später entdeckte man im Wald nahe Lembkes Wohnung ein Waffenlager. Bei der Vernehmung nannte der Neonazi später weitere Verstecke von Waffen und Sprengstoff. Lembke wollte noch mehr aussagen. Am nächsten Morgen fand man ihn erhängt in seiner Zelle.

      Die wichtigste Spur aber entdeckte Dietrich vor einigen Monaten nicht zwischen Aktendeckeln. Bei ihm meldete sich eine Theologin, die 1980 als Studentin in München Sprachkurse für Aussiedler gab. Einer ihrer Schüler war der Rechtsradikale Andreas W. Durch Zufall will sie im Spind von W. am Tag nach dem Bombenanschlag Flugblätter gesehen haben, auf denen Gundolf Köhler als Held verehrt wurde. Doch zu dem Zeitpunkt hatte die Polizei Köhlers Namen noch gar nicht bekannt gegeben.

      Die Frau sagt, sie sei daraufhin zur Polizei gegangen. Doch dort habe man sie abgewimmelt. Dann schwieg sie 34 Jahre lang.

      Doch dafür, deutete Anwalt Dietrich an, soll es einen überzeugenden Grund geben. Den aber darf vorerst niemand erfahren, da sonst die Identität der Zeugin erkennbar wäre. Die Ermittler wollen sie vor Angriffen Rechtsextremer schützen.

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