Die Prinzessin von Ahlden

      Die Prinzessin von Ahlden

      Wenn man die Autobahn von Bremen oder Hamburg Richtung Hannover kommend hinter dem Walsroder Dreieck verlässt - bekannte Sehenswürdigkeiten in dieser Ecke sind der Vogelpark Walsrode oder der Serengetipark Hodenhagen, aber auch der Biohof Eilte - stößt westlich von Hodenhagen auf den Ort Ahlden. Das ist zunächst mal ein hübsches Fachwerkhausdörfchen, u.a. mit einem Storchennest, dessen Inneres incl. Nachwuchs man mit Hilfe einer TV-Kamera, deren Bilder in einem nahegelegenen Schaufenster übertragen werden, gucken kann. Findet man dann das Schloss oder den Schaukasten neben der Kirche, so stößt man auf eine veritable Tragödie, die sich vor dreihundert Jahren zugetragen hat, und von der heute Ahldens Tourismus lebt:
      Die Geschichte von Sophie Dorothea, der Prinzessin von Ahlden.



      (Folgender Text gekürzt aus Wikipedia, mit Anmerkungen von mir):
      Die am 15. September 1666 geborene Sophie Dorothea war die einzige Tochter und Erbin des Herzogs Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg-Celle (1624–1705) und aus seiner legitimierten Ehe mit der Hugenottin Eleonore Desmier d’Olbreuse (1639–1722), Tochter von Alexander II. Desmier d’Olbreuse und Jacquettes Poussard de Vandré. Ihre Großeltern väterlicherseits waren Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg und Landgräfin Anna Eleonore von Hessen-Darmstadt.

      Sophie Dorothea wuchs in sorglosen Verhältnissen heran. Ihre Eltern waren – eher eine Ausnahme als die Regel bei Ehepaaren ihres Standes – einander in aufrichtiger Liebe verbunden und schenkten auch dem aufgeweckten und begabten Mädchen Wärme und Zuneigung. Bereits mit zwölf Jahren wurde sie, wie es zu dieser Zeit hieß, „mannbar“. Ihr Vater übertrug ihr im Laufe der Zeit große Vermögenswerte und dieser Reichtum machte Sophie Dorothea zu einer interessanten Heiratskandidatin; so blieb es nicht aus, dass eine ganze Reihe junger Fürsten um sie warb.

      Prinzessin Sophie Dorothea heiratete am 18. November 1682 in der Kapelle auf Schloss Celle ihren Vetter Kurprinz Georg Ludwig, den späteren britischen König Georg I. (1660–1727), den ältesten Sohn des Herzogs und späteren Kurfürsten Ernst August von Braunschweig-Lüneburg und seiner Gattin Prinzessin Sophie von der Pfalz. Die Ehe war aufgrund gegenseitiger finanzieller Abhängigkeiten der Väter von diesen arrangiert worden. Anfangs schien sie trotzdem glücklich zu verlaufen. Sophie Dorothea bekam zwei Kinder:

      Georg August (1683–1760),
      späterer König Georg II. von England
      Sophie Dorothea (1687–1757),
      spätere Königin von Preussen (Gattin des "Soldatenkönigs" und Mutter des "Alten Fritz")

      Danach entfremdeten sich beide Ehepartner. Kurprinz Georg Ludwig bevorzugte seine langjährige Mätresse Ehrengard Melusine Gräfin von der Schulenburg (1667–1743).

      Sophie Dorothea begann einen Briefwechsel mit dem Grafen Philipp Christoph Graf von Königsmarck. Inwieweit mehr daraus wurde, weiss man nicht - von den Briefen jedoch sind viele erhalten. Sophie Dorothea wurde des Ehebruchs beschuldigt, die Ehe geschieden und sie selbst auf Schloss Ahlden verbannt. Ihre Kinder, damals sieben und elf Jahre alt, durfte sie zeitlebens nicht mehr sehen.
      Königsmarck verschwand in der Nacht vom 1. Juli 1694 im hannoverschen Schloss spurlos. Sophie Dorothea sollte niemals erfahren, was mit ihm geschehen war. Es ließ sich allerdings leicht erraten, dass er, wohl auf Veranlassung des Kurfürsten Ernst August, ermordet worden war. Man fand keine Spur mehr von ihm, offiziell galt er als verschollen. Der wahre Sachverhalt ist bis heute unklar geblieben und Dokumente, die Aufschluss hätten geben können, wurden offensichtlich von der hannoverschen Regierung beschlagnahmt und vernichtet.


      Nach Theodor Fontane ist dieser Mord nicht so unaufgeklärt geblieben:
      "Am 1. Juli 1694 begab er (Königsmarck/ Anm. Grizzly) sich in das Schloss zu Hannover, um hier von seiner Freundin, der Kurprinzessin, Abschied zu nehmen. Er verließ das Schloss nicht mehr. In einem Korridor traten ihm vier Hellebardiere entgegen, die sich bis dahin hinter einem Schornstein verborgen gehalten hatten, und im Kampf gegen diese gedungenen Leute fiel er. Seine Leiche versenkte man in einen senkrecht durch die ganze Höhe des Schlosses laufenden Kanal und mauerte diesen zu. Zwei der Hellebardiere, Buschmann und Lüders, haben die Tat auf ihrem Sterbebette gebeichtet." (Quelle)


      Nach dem Urteil wurde Sophie Dorothea auf Geheiß ihres Ehemannes Kurfürst Georg Ludwig lebenslänglich eingeschlossen. Er zog ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen ein, ließ ihr aber jährlichen Unterhalt. Die Prinzessin erhielt für sich und ihren Hofstaat zunächst 8.000 Taler, später bis zu 28.000 Taler (dazu hatten sich ihr Vater und Schwiegervater zu gleichen Teilen verpflichtet). Sie wurde im Nordflügel des Schlosses, einem zweistöckigen Fachwerkbau, einquartiert. Für die Prinzessin wurde eine Wachtruppe von 40 Mann aufgeboten, von denen fünf bis zehn Mann rund um die Uhr das Schloss bewachten. Die Kontaktpersonen der Prinzessin und ihre Post wurden streng kontrolliert. Einen Befreiungs- oder Fluchtversuch hat es aber nie gegeben.

      Anfangs durfte die Gefangene sich nur im Innern des Schlosses aufhalten, später auch in den Außenanlagen in Begleitung. Nach zwei Jahren Haft durfte sie auch in einem Fahrzeug sich etwa zwei Kilometer entfernen. Ihre Haftzeit wurde mehrfach unterbrochen wegen Kriegsereignissen oder Umbauarbeiten, während derer sie im Schloss Celle oder in Essel untergebracht wurde. Sie durfte Besuche empfangen, wie Musiker. Ihre Mutter hatte eine unbegrenzte Besuchserlaubnis. Zum Hofstaat gehörten zwei Hofdamen, mehrere Kammerfrauen und weiteres Personal für den Haushalt und die Küche. Diese waren alle nach ihrer Loyalität für Hannover ausgewählt worden. Die Prinzessin durfte sich nach ihrem neuen Wohnort „Prinzessin von Ahlden“ nennen (das war aber großzügig vom Ex .../Anm. Grizzly).

      Als Sophie Dorotheas Vater 1705 auf dem Sterbebett lag, wollte er seine Tochter ein letztes Mal sehen, um sich mit ihr auszusöhnen, doch er bat Ministerpräsident Graf Bernstorff vergeblich darum. Dieser machte geltend, dass es bei einem Treffen zu diplomatischen Verwicklungen mit Hannover kommen könne, und der alte Mann hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen ihn durchzusetzen.

      Nach dem verheerenden Ortsbrand von Ahlden 1715 steuerte die Prinzessin erhebliche Geldsummen zum Wiederaufbau bei.

      Als 1722 auch noch ihre Mutter starb, war sie nur noch von Feinden umgeben und hoffte, wenigstens ihre Tochter noch einmal sehen zu können. Die Königin von Preußen kam zwar 1725 nach Hannover, um sich mit ihrem Vater, dem nunmehrigen König von England, zu treffen. Doch die Mutter, die sich noch sorgfältiger als sonst kleidete, wartete täglich umsonst am Fenster.

      Zuletzt schien sie nur noch das Vergnügen des Essens gekannt zu haben. Ihre Abwehrkräfte schwanden und durch dei Mangelnde Bewegung nahm sie an Körperfülle zu. Zunehmend litt sie unter fiebrigen Erkältungen und Verdauungsstörungen. Anfang 1726 erlitt sie einen Schlaganfall, im August 1726 legte sie sich mit heftigen Koliken ins Bett, welches sie nicht mehr verließ. Ärztliche Hilfe lehnte sie ab und verweigerte die Nahrungsaufnahme. Innerhalb weniger Wochen magerte sie bedrohlich ab. Sie verstarb im 13. November 1726 kurz vor Mitternacht. Eine Obduktion ergab eine krankhafte Leber und Gallenverschluss aufgrund von 60 Gallensteinen. Georg I. untersagte in Hannover ausdrücklich jegliche Trauerbezeugung und war wütend, als er erfuhr, dass seine Tochter in Berlin Hoftrauer angeordnet hatte.

      Das Begräbnis entwickelte sich zur Farce. Nachdem die Wachmannschaft für diesen Fall keinerlei Anweisungen hatte, wurde die Tote in einen Bleisarg gelegt und im Keller deponiert. Im Januar 1727 kam aus London der Befehl, sie ohne irgendwelche Zeremonien auf dem Friedhof von Ahlden zu begraben, was aufgrund wochenlanger schwerer Regenfälle unmöglich war. So kam der Sarg erneut in den Keller und wurde mit Sand zugeschüttet. Erst im Mai jenes Jahres fand die Prinzessin ihre letzte Ruhestätte in der Familiengruft in der Stadtkirche St. Marien zu Celle, wo die Beisetzung mitten in der Nacht stattfand.


      P.S. I
      Ein ähnliches Schicksal wie ihrer Urgroßmutter Sophie Dorothea widerfuhr im 18. Jahrhundert der dänischen Königin Caroline Mathilde (1751–1775). Die geschiedene Schwester König Georgs III. verbrachte nach der Struensee-Affäre ihre letzten drei Lebensjahre im Celler Schloss und ließ damit wieder königlichen Glanz in die einstige Residenzstadt einziehen. Wenig später starb sie in Celle. In der Gruft der Stadtkirche sind die beiden tragischen Frauengestalten im Tode vereint.

      P.S. II
      Die Lebensgeschichte Sophie Dorotheas wurde auch von Arno Schmidt in seinem Roman Das steinerne Herz – Historischer Roman aus dem Jahre 1954 verarbeitet, dessen Schauplätze Ahlden und – für eine Episode – Berlin sind. Die Geschichte der Prinzessin von Ahlden wird sukzessive in die Erzählung eingearbeitet, das Ahldener Schloss, damals Amtsgericht, ist mehrmals Ziel von Spaziergängen der Protagonisten, die schließlich durch den Fund eines Schatzes aus dem Nachlass Sophie Dorotheas zu Wohlstand kommen.
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      P.S.

      Es gibt eine Legende, wonach Sophie's Ex sich zumindestens um das körperliche Wohlergehen seiner Ehemaligen sorgen musste und sie nicht, wie einer seiner Vorgänger auf dem britischen Thron, im Zorn um den (überhaupt nicht bewiesenen) Ehebruch um einen Kopf kürzer machen lassen konnte. Ihm war nämlich orakelt worden, dass er kurz nach seiner damaligen Noch-Ehefrau sterben würde, er musste sie also pfleglich behandeln.

      Sein Todesdatum gibt dem Orakel recht - er starb kein ein Jahr später (22.6.1627).
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      - Kurt Tucholsky -
      Und die Sache bekommt doch noch ein aktuelles Nachspiel: Bei Grabungsarbeiten zum Bau von behindertengerechten Aufzügen für den Hannoveraner Landtag ist jetzt das mutmaßliche Skelett des mit einiger Sicherheit ermordeten Geliebten von Prinzessin Sophie, Philipp Christoph Graf von Königsmarck, gefunden worden.
      Die Knochen befanden sich in sieben bis acht Metern Tiefe, wie Oberstaatsanwalt Thomas Klinge am Freitag gegenüber NDR 1 Niedersachsen sagte. Sie waren am 10. August in einer Grube gleich hinter dem Portikus entdeckt und der Polizei übergeben worden. An der Fundstelle wurde gegraben, weil dort ein behindertengerechter Fahrstuhl für den Neubau installiert werden soll. In der Medizinischen Hochschule Hannover nahmen Rechtsmediziner die sterblichen Überreste unter die Lupe. Eine genaue Todesursache konnten die Experten nicht mehr feststellen. Alter und Fundort legen den Verdacht jedoch sehr nahe, dass es sich um den verschwundenen Adligen handeln könnte, so Klinge. Mord verjähre nicht, deshalb wurde zunächst die Anklagebehörde eingeschaltet. Allerdings sei es sehr schwierig, nach so langer Zeit Zeugen oder Verdächtige zu finden und zu vernehmen, meinte Klinge mit einem Augenzwinkern. Ein DNA-Abgleich mit Nachfahren des Grafen soll aber zumindest den Beweis liefern, dass der seit 322 Jahren verschollene Graf endlich gefunden ist.

      Ganzer Text: ndr.de/nachrichten/niedersachs…tag-entdeckt,graf230.html

      PS
      Da hat Theodor Fontane wohl Recht gehabt :kratz:
      Nach Theodor Fontane ist dieser Mord nicht so unaufgeklärt geblieben:
      "Am 1. Juli 1694 begab er (Königsmarck/ Anm. Grizzly) sich in das Schloss zu Hannover, um hier von seiner Freundin, der Kurprinzessin, Abschied zu nehmen. Er verließ das Schloss nicht mehr. In einem Korridor traten ihm vier Hellebardiere entgegen, die sich bis dahin hinter einem Schornstein verborgen gehalten hatten, und im Kampf gegen diese gedungenen Leute fiel er. Seine Leiche versenkte man in einen senkrecht durch die ganze Höhe des Schlosses laufenden Kanal und mauerte diesen zu. Zwei der Hellebardiere, Buschmann und Lüders, haben die Tat auf ihrem Sterbebette gebeichtet." (Quelle)
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      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -