1978: Einmal Sizilien und zurück

      1978: Einmal Sizilien und zurück

      Im August 1978 beschlossen sechs Heidelberger Studenten, mit Hilfe zweier nicht mehr fabrikneuer VW-Käfer und einem Motorrad nach Sizilien zu fahren - einer davon ich - um sich dort mit zwei weiteren Mitstreiter/innen zu treffen; der eine davon stammte von dort, so dass sich zumindestens kurzfristig die Quartierfrage erledigen würde.

      Am ersten Abend landeten wir in der Nähe von Genua, in einem Dorf bei Lerici - ich glaube es hiess Sarzana. Dorthin bin ich die Folgejahre nicht mehr hingefahren ...
      Es hatte sich nämlich ein dortiger Hotelportier ein Appartment für eine Nacht zur Verfügung gestellt, wir dachten erst aus Freundschaft, aber auf einmal wollte er 50.000 Lire haben, also ca. 125 DM damals, und meinen Ausweis als Pfand. Wir waren übermüdet und es regnete, also zahlten wir, und bauten für die Nacht unseren Dachgepäckträger ab. Dabei übersah ich die reale Existenz einer Glaswand und es kam zu einer verhängnisvollen Begegnung zwischen mir und derselben - Bruch für die Glaswand und eine blutige Nase für mich :kater2:

      Irgendwie schafften wir es am nächsten Tag, sowohl meinen Ausweis wieder zu ergattern als auch für den Bruch nicht aufkommen zu müssen (durch Flucht), aber für den Recht der Reise hatte ich ein mulmiges Gefühl, wenn die Polizei auf einem der von uns bewohnten Campingplätze auftauchte :polizei: und in der Region Lerici/Sarzana bin ich nie wieder gewesen :gruebel: :knast:

      Die Schlafplatzsuche am nächsten Abend nahe Napoli verlief weniger dramatisch. Zwar wollte uns der Campingplatzbesitzer wegen des mitgeführten Hundes (ein 17jähriger Pudel namens Terry) nicht auf den Platz lassen :hundschnueffel: aber meine in gebrochenem Italienisch vorgetragene Verteidigung
      "Questo Cane molto silenzio ! Non parla lingua di cane." = Dieser Hund viel Ruhe ! :wolf:
      Spricht nicht Sprache von Hund
      (ich wusste nicht, was "bellen" heisst),
      brachte ihn so zum Lachen, dass er sich umentschied :zeltluschern:
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      :was: Du bist eigentlich ein :vw1:

      Ansonsten: Nun ja, :campingschild: haben vieles an sich was ein Normalsterblicher nicht immer so ganz nachvollziehen kann zwinker2:
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)
      Zwei Tage später waren wir in Sizilien - die Brücke vom Festland nach Messina sollte schon damals fertig sein und ist es bis heute nicht.



      Jedenfalls blieben wir erstmal im Norden bei Cefalu und campierten in zwei Zelten auf einem Distelacker. Von dem größeren bauten wir nur das Überzelt auf, was - ich war zu diesem Zeitpunkt nicht dabei - mehreren Mitcampern die Möglichkeit bot, das Zelt flutartig zu verlassen, als eine Espressomaschine explodierte und das Zeltinnere mit heissen Kaffeesatz verzierte ...

      Der Badestrand war an dieser Stelle einigemaßen steinig, Schatten fehlte (ausser dem espressobesprenkelten Zelt) völlig, und wir beschlossen, an die Südküste über Agrigento nach Sciacca (ausgesprochen: Schakka) zu fahren, das ist auf der Karte bei den Ruinen (3 Punkte auf der Karte) von Eraclea Minoa an der Flussmündung des Platani.

      In Sciacca konnte man neben dem Campingplatz baden und hatte ausserdem genug Schatten. Ansonsten war es so warm, dass ich es vorzog, nicht in einem Dreimannzelt mit zwei anderen, sondern draussen auf meiner Luftmatratze zu schlafen. Die Umgebung von Sciacca, vor allem nach Westen, war noch gezeichnet von einem Erdbeben, das zehn Jahre zuvor die Region verwüstet und über 200 Tote gefordert hatte. Auf meiner Luftmatratze, dachte ich, würde mir ein erneutes Erdbeben nicht viel anhaben.

      Tagsüber war es so heiss, dass wir, wenn wir nicht baden waren, uns am liebsten in einem der zahlreichen archäologischen Museen aufhielten, wegen der angenehmen Kühle dort. Zwischendrin turnten wir auch in den Ruinen des antiken Valle dei templi herum.



      Irgendwann waren wir abends essen. Neben der Rezeption hingen ein paar Bilder von den Tempelruinen, auf einem Bild stand neben dem Tempel ein älterer Herr, das Bild war bestimmt schon 50 Jahre alt. Ich fragte den Kellner, wer das sei.
      Der war empört: "Was, Sie kennen unseren großen Dichter nicht ?
      Das ist Luigi Pirandello !"



      Ich bedankte mich, war allerdings nicht viel schlauer als vorher, denn der Name sagte mir zu diesem Zeitpunkt leider nichts, so dass ich ihn ein paar Minuten später vergessen hatte. Als ich wieder am Tresen vorbei ging, entschuldigte ich mich vielmals, ich hätte ein Hirn wie ein Schweizer Käse, alles voller Löcher, und ich hätte leider vergessen, wie der große Dichter heisst (das alles in Stoppel-Italienisch).
      Der Kellner war gnädig und wiederholte den Namen.
      Kam später an unseren Tisch und fragte mich: "Wie heisst der große Dichter ?"
      Ich (hatte mir Mühe gegeben): "Luigi Pirandello".

      Irgendwann musste ich wieder zum Tresen, als Gruppendolmetscher, Wasser für Terry orgenisieren.
      Dort stand der Kellner mit einem gutgekleideten mittelalterlichen Paar zusammen, sah mich, grinste, und ich wusste, was jetzt kam.
      Der Kellner fragt den Herrn, wer der Mann auf dem Bild sei.
      Der Mann überlegt und sagt, er wisse es nicht.
      Kellner fragt mich: "Wie heisst der große Dichter ?"
      Ich: "Luigi - äh - Pirandello."
      Kellner, triumphierend: "Sehen Sie, dieser junge Deutsche kennt unseren großen Dichter !"
      Den Namen Luigi Pirandello habe ich nie wieder vergessen
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Damals hatten sie in Italien noch Lire.
      Als ich das erste Mal (1971) nach Italien kam, waren 1000 Lire 5,50 DM; die letzten Jahre vor der Euro-Umstellung bekamm man den Tausender manchmal schon als Münze, und er war grad noch 1 DM wert.



      :gruebel: d.h. ein Euro = 2000 Lire.



      1978 waren 1000 Lire 2,50 DM.



      Damals herrscht ein Mangel an Münzen. 500er gab es nur als Scheine, die galten überall.



      In einzelnen Provinzen wurden 100er als Scheine herausgegeben, obwohl es die schon als Münzen gab.
      Pferdefuß: Die galten nur in der Provinz, in der sie herausgegeben waren. Wenn man jetzt z.B. an einer Autobahnmautstation so einen Schein aus Rückgeld bekam, schaute man zum einen nicht drauf, weil man froh war, weiterfahren zu dürfen (womöglich nach längerem Stau), zum andern hatte man, wenn man dazu kam, so einen Schein auszugeben, längst die Provinz gewechselt, d.h. man blieb auf diesem Schein sitzen ...

      Wir haben diese Scheine dann für unseren internen Zahlungsausgleich benützt, wenn z.B. einer für den anderen etwas ausgelegt hatte, konnte es sein, dass er dann solche Scheine bekam - und sie baldestmöglich an seinen Nachbarn weitergab.

      200er war eigentlich eine Rarität, wir hätten ihn aufheben sollen. Aber so schoben wir dieses zerfledderte grüne Papierchen wie einen Schwarzen Peter zwischen uns hin und her :stuhlversteck:


      P.S. 1
      Einen dieser Notgeld-Scheine von 1978 hab ich nach längerer Suche im Netz gefunden. Anscheinend haben einzelne Banken welche gedruckt - hier die Banco di Sicilia, allerdings in Genua, so dass dieser Schein wohl nur in der Provinz Genua galt.



      P.S. 2
      Bei Ebay italien kriegt man diese miniassegni zu 100 und 200 Lire noch.

      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Das hier war der letzte Tausender (= ca. 1 DM) vor der Euro-Umstellung - den fand ich besonders hübsch.



      Nach etwa zwei Wochen - wir hatten inzwischen den Campingplatz gewechselt und waren in die Nähe nach Eraclea Minoa umgezogen, weil dieser Platz nichts kostete - mussten wir uns langsam auf den Rückweg begeben. Aber bevor wir Sizilien verliessen, wollten wir noch auf den Ätna.



      Die Umgebung des Ätna ist schon sehr eindrucksvoll. Kaum ein Gebiet, das nicht irgendwann innerhalb der letzten 1000 Jahre nicht einmal von einem Ausbruch betroffen gewesen wäre :link:



      Das hat zur Folge, dass man überall das schwarze Lavagestein sieht; andererseits ist die Lavaasche auch sehr fruchtbar und schafft blühende Landschaften - so lange bis der Berg alles wieder auslöscht. Dann sollte man, wenn man sich nicht so genau auskennt wie diese Herrschaften hier :klick: einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten.

      Morgens machten wir uns von Nicolosi aus auf den Weg. Der Himmel war blau, nur am Horizont stieg eine stetige weisse Wolke nach oben. Zu der wollten wir hin.
      Klettern muss man nicht können (dann wär ich da auch nicht hochgegangen), es geht wie auf einem Sandweg in sanften Serpentinen hinauf, nur dass das Pulver eben kein Sand, sondern schwarze Lavaasche ist. Der letzte Ausbruch war damals sieben Jahre her (inzwischen vergeht fast kein Jahr ohne Eruption) und hatte die Seilbahn erwischt, deren Masten aus schwarzen Aschehaufen herausragten.


      So ähnlich sah es an der verschütteten Talstation aus.

      Warm war es auch nicht.
      An einigen Stellen konnte man unter der Asche die Reste einer Schneedecke sehen - im heissen Sizilien, im August ! Vorgewarnt, hatten wir uns warme Anoraks, Pullover, Mützen und Halstücher (natürlich die aus Palästina) eingepackt, und einer nach dem anderen leerte seinen Rucksack und zog alles übereinander an, was er da drin hatte - auch ich, dem es so schnell zu warm wird. Zwei oder drei Stunden, ich weiss es nicht mehr, brauchten wir für den Weg; vor allem im oberen Teil musste ich oft stehenbleiben und verschnaufen, und meine beiden Begleiter (die anderen, auch Terry, waren unten geblieben), die konditionell etwas besser dran waren als ich, warteten geduldig.

      Aber dann waren wir oben, d.h. an der Bergstation (die m.W. beim Ausbruch 1983 zu Bruch ging), und stiegen auch noch die wenigen Meter zum Krater hoch, um einen Blick in den gähnenden Höllenschlund zu werfen und um neben hochsteigenden Schwefeldämpfen ein Gipfelphoto zu schiessen - bevor uns ein wütender Bergführer wieder hinunter scheuchte, weil das hier zu gefährlich sei (und der Bergführer leer ausgeht).



      Den Berg hinunter sind wir mit dem Bus gefahren, ich konnte kaum noch laufen :kater2:

      (P.S.
      Gepostete Bilder alle aus Wikipedia)
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Nach der Ätna-Besteigung galt es, langsam die Heimatrichtung einzuschlagen - immerhin waren es bis dahin mehr als 2000 km. Die erste Station war wieder mal die Gegend um Napoli, diesmal Pompeji.




      (Alle Bilder aus Wikipedia, da keine eigenen vorhanden)

      Lieder kamen wir erst am Nachmittag dort an und waren völlig übermüdet, deshalb sind meine Erinnerungen an diese eindrucksvolle Ruinenstadt weitaus blasser, als ich das selbst gern hätte :gruebel:


      Irgendwo, aber das war, glaube ich, noch auf Sizilien in Piazza Armerina, als wir abends auf einem der zahlreichen Unita-Feste landeten (die Unita war die Zeitung der in Italien sehr populären Kommunistischen Partei, die im ganzen Land Sommerfeste organisiserte), wo aufgrund des eben erfolgten Papst-Todes (Paul VI.) keine Musik gespielt werden durfte. Und in Enna waren wir auch, der mit über 1000 Höhenmetern höchstgelegenen Stadt auf der Insel, von deren Burg aus man alle drei Küsten sehen kann.


      Von Pompeji aus fuhren wir an Rom vorbei (die Preise dort hätten unsere Möglichkeiten überstrapaziert) bis zum Lago di Bolzena, wo wir am See kampierten und ein paar Tage blieben. Praktischerweise stand direkt am Seeufer ein alter Tisch, neben dem wir unsere Zelte aufschlugen.
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -