Jugoslawien 1975 - Reise in eine Welt die es so nicht mehr gibt

      Jugoslawien 1975 - Reise in eine Welt die es so nicht mehr gibt

      Dank Tommy, der zur Zeit Kroatien als Land des Monats in seinem Forum präsentiert, fiel mir eine alte Reiseerinnerung ein, die ich, soweit mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, unbedingt zur Kenntnis geben möchte. Eigene Bilder hab ich leider keine dazu.

      Angefangen hat es damit, dass mir im Frühjahr 1975 eine Studentenheim-Mitbewohnerin aus dem damaligen Jugoslawien (Serbin ? Kroatin ? Keine Ahnung, ich hab sie nie gefragt, und das war damals wurscht) erzählte, ihr Vater habe ihr geschrieben: "Wenn Du im Sommer heimkommst, bring ein paar Leute mit - ich brauch sie für die Ernte."
      OK, hab ich gesagt, ich komm mit.
      Aus arbeitstechnischen Gründen (Nachtwachen im Krankenhaus) konnte ich zum verabredeten Zeitpunkt nicht mitfahren, sondern zuckelte eine Woche später mit einer Gruppe, die im VW-Bus nach Griechenland wollte, hinterher.



      Es erscheint mir keine dreiunddreissig, sondern gefühlte hundert Jahre her zu sein, als ich zum ersten Mal die damalige jugoslawische/ heute slowenische Grenze passierte, in der Morgendämmerung und leicht übernächtigt, denn zu zweit auf der Rückbank eines VW-Busses ist die Schlafqualität eine eingeschränkte. Einer von uns hatte nur den Personalausweis dabei, der musste 5 DM zahlen (für uns DDR-Grenzschikanengestählte war das ein Lacher) - Problem erledigt.

      Den anderen haute man einen Stempel in den Pass, und der Weg bis zur griechischen Grenze war offen.
      Heut müssten wir erst durch Slowenien, dann die kroatische Grenze passieren, dann die serbische, dann kommt der Kosovo (nein, der kommt nicht, den lassen wir ein paar km rechts liegen), dann Mazedonien, und erst dann ...

      Bis zur slowenische Hauptstadt Ljubljana war's nicht weit. Durst hatten wir, und Hunger, aber auf der Durchfahrt am Stadtrand war zunächst keine Kneipe o.ä. zu sehen. Schliesslich fanden wir ein Cafe. Leider war es verriegelt und verrammelt, und an der Tür fanden wir die kryptische Inschrift: TOREK ZATPRT.

      Ich hatte als einziger ein Wörterbuch dabei, ein kroatisches, d.h. das hiess damals noch serbokroatisch. Weder Torek noch Zatprt standen drin. Mir fiel ein, dass Slowenisch zwar ähnlich war wie Kroatisch, aber halt doch ein bissl anders. Und kombinierte: Wir hatten Dienstag, und der Laden hatte zu. Also suchte ich nach "Dienstag", das hiess utorak und "geschlossen" hiess zatvoren.

      Wir einigten uns darauf, dass an der Tür "Dienstag geschlossen" gestanden haben könnte, und fuhren hungrig weiter.
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      Wo wir dann was zu futtern gekriegt haben, weiss ich gar nicht mehr, wahrscheinlich ganz unspektakulär und kulinarisch nicht besonders ansprechend auf einer Raststätte des legendären Autoput, von dem es bei Wikipedia heisst:

      Der Autoput war bis 1991, als die Benutzung wegen der Jugoslawienkriege nicht mehr möglich war, eine der berüchtigtsten Straßen Europas: Der teilweise schlechte Zustand und viel Verkehr – neben den vielen LKWs war die Strecke vor allem in den Sommermonaten völlig überlastet – verhinderten erholsames Reisen. Von langen Distanzen und der kerzengeraden Strecke übermüdete Fahrer sowie waghalsige Überholmanöver waren die Ursachen für zahlreiche Unfälle.

      Von der slowenisch-kroatischen Grenze bekamen wir natürlich nix mit, weil sie noch nicht existierte; auch auf dem Rückweg drei Wochen später fuhr der Zug von Zagreb nach Ljubljana einfach durch, anstatt eines langwierigen Stopps kurz hinter Zagreb, wie das heute ist, mit Lokwechsel. Mit dem VW-Bus kamen wir dagegen unbeschadet durch; hinter Zagreb wurde die Landschaft flach und für meine Begriffe langweilig, mit Gebüsch und wenig Bäumen am Staßenrand.

      Kurz vor Novska, d.h. unweit der heutigen serbischen Grenze (Sorry, Ivo vom Balkan-Forum hat mich inzwischen darauf hingewiesen, dass es von Novska bis zur serbischen Grenze noch über 100 km sind - er muss es wissen, er kommt von dort), trennte ich mich von meiner VW-Bus-Truppe, verliess den Autoput und hielt den Daumen raus auf einer Landstraße Richtung Südwesten. Musste auch nicht lang warten und wurde von einem Lieferwagen bis Dubica und von einem PKW bis Kostajnica mitgenommen. Am Ende der Fahrt wurde ich jeweils ins Haus gebeten (in Kostajnica in einen sehr schönen mit Weinranken überspannten Garten) und verpflegt. Es war einfach nett, und Slibowitz-bedingt etwas schwankend bestieg ich für die letzten 20 km den Bus nach Dvor na Uni - dort wurde ich erwartet.

      P.S.
      Unser Weg von Dubica bis Dvor führte uns im wesentlichen an der Una entlang, die dort Grenzfluss zwischen Kroatien und Bosnien ist - mehrmal überquerten wir auf einer Brücke diese "Grenze" ...
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      Meine Zeitverzögerung hatte den Vorteil, dass ich einige Streitigkeiten der Heidelberger Besucher von A. nicht mitbekommen hatte, die deshalb vor meiner Ankunft schon wieder abgefahren waren. So hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Familie für mich.

      Mit der Mutter, die mit ihrem schwarzen Kleid plus schwarzem Kopftuch wesentlich älter aussah als sie vermutlich war, konnte ich mich nur per Dolmetscher (A. und ihr Bruder) verständigen, oder mit meinem damals noch sehr lückenhaften Kroatisch plus Zeichensprache. Stojan, der Vater, sprach ein verständliches Deutsch aus der Zeit, als er während des Zweiten Weltkriegs in eine Bremer Fabrik als Zwangsarbeiter verschleppt worden war. Ausser der Erwähnung dieses Umstands hatte er kein böses Wort über die Deutschen, weder die von damals noch die derzeitigen.

      Ich wurde von allen mit großer Herzlichkeit aufgenommen und erstmal mit reichhaltig bewirtet mit Brot, dünnen Speckscheiben, Paprika, Bier (Karlovacko) und selbst gebranntem Slivovitz. Da ich ja noch von unterwegs leichte Schlagseite hatte, weiss ich nicht mehr, wie ich an diesem Tag ins Bett gekommen bin. Aber einen Kater hatte ich anderntags, soweit ich mich erinnere, nicht -
      ärgere Ereignisse dieser Art hab ich nicht so oft und erinnere sie auch nach Jahren noch.

      Die nächsten Tage schleppte mich A. durch diverse Dörfer (zu Fuß querfeldein) und besuchte ihre zahlreichen Freundinnen. Meistens trank ich dann Kaffee oder Slivovitz in kleinen Bauernküchen mit feststampfter Erde als Fußboden, manchmal bekam ich ein Rührei oder ähnliches, während die Produzentinnen derselben gackernd zwischen meinen Beinen herumliefen. Gelegentlich versuchte ich mich am Gespräch zu beteiligen, indem ich mithilfe meines Taschenwörterbuchs einen Zweiwortsatz zusammenzimmerte und damit erhebliche Heiterkeit erzeugte.
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      Irgendwann kam meine Arbeitsbereitschaft dann doch noch zum Einsatz.
      In einem Dorf namens Udetin, damals (heute weiss ich nicht) nur über einen abenteurlichen Feldweg erreichbar, wollte Stojan ein neues Haus bauen. In größeren Dvor gab es nämlich eine Vorschrift, dass Neubauten nur noch mindestens zweigeschossig erlaubt seien, aber für ein Obergeschoss fehlte das Geld, und es war für die beiden alten Herrschaften auch nicht nötig.

      Also schuckelte Stojan mit seinem Sohn und einem Freund in seinem alten Zastava die 10 km nach Udetin - ich sollte nachkommen, wenn mein Kater (den ich dann doch noch aufgrund einer entsprechenden Aktion bekommen hatte) transportabel genug sei. D.h. sie fuhren nach dem Frühstück einfach los und liessen mich schlafen. Zu Fuß und auf einem vorbeikommenden Traktor war ich bis ca. Mittag dann auch da.

      Am unteren Rand seiner mit Zwetschgenbäumen bestandenen Wiese gruben wir mit 2 Spitzhacken ein Fundament. D.h. zwei pickelten und zwei ruhten sich aus - es war ein gemütliches Arbeiten. Bis abends hatten wir tatsächlich einen viereckigen Graben ausgehoben.

      So weit ich weiss, ist der Hausbau nie weiter fortgeschritten als bis zu diesem Fundament. Der arme Stojan ist nämlich ein paar Jahre später gestorben, und sein Sohn hat an einer anderen, weniger abgelegenen, Stelle gebaut.


      P.S.
      Der Zastava 1300 war ein Nachbau des Fiat 1300 - von letzterem gibt's im Gegensatz zum Zastava ein Wikipedia-Bild, das man kopieren darf. Stojan's gutes Stück hat wie dieser Fiat ausgesehen, nur gelb.

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      Irgendwann besuchte A. mit mir eine Freundin plus Ehemann und Kleinkind (das mit 2 Jahren die gängigen deutschen Automarken unterscheiden konnte) in Bosanski Novi. Das liegt 3 km von Dvor entfernt - heute heisst es Novi Grad und ist von Dvor durch die kroatisch-bosnische Grenze getrennt. Beiden Orten und ihrer Bevölkerung ist im späteren Krieg übel mitgespielt worden.

      Dieser Ehemann, ein Gymnasiallehrer namens Ante, kannte den Fluss Una, der Dvor von Bosanski Novi trennt, wie seine Hosentasche. Da er gerade vor hatte, mit ein paar Freunden die Una per Schlauchboot zu durchfahren, fragte ich, ob ich ein Stück mitfahren dürfe. Nach längerer Erörterung der Risiken - ich kannte die Sprache kaum und war vollkommen untrainiert - erlaubte man mir, ein Stück mitzukommen. Meine Vorfreude auf dieses Abenteuer war groß.

      Wie vereinbart, fuhr ich ein paar Tage später nach in ein Dorf namens Ripac, das eine Bahnstation hinter Bihac, dem größten Ort in West-Bosnien, liegt (im Bosnien-Krieg war Bihac fast drei Jahre von serbischen Truppen eingekesselt). Dort sollte ich auf die Schlauchbootfahrer warten.

      Ripac war damals ein wunderschönes Dorf - wie es heute aussieht, weiss ich nicht.
      Wenn man vom Bahnhof oder mit dem Auto in den Ort kam (Bahn und Straße verlaufen parallel), sah man erst ein paar Häuser, eine Slasticarna, das ist eine Art Cafe, in dem es im Wesentlichen Süßes gibt, und ein kleines Hotel. Von dort ging eine Straße zur Una hinunter, wobei sich der Fluss dort teilt und viele kleine Inseln setzt - ein Großteil der Häuser lag auf diesen durch kleine Brücken verbundenen Inseln.

      Ante hatte mir eine Insel beschrieben, auf der ich warten sollte. Ich verliess also den Bahnhof, fand einen Wegweiser mit "otoka" (Inseln) und folgte dem. Als ich an der Slasticarna vorbeikam, rief ein Mann aus der Tür heraus:
      "Gutten Tag - wie gäht's ?"
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      Gerade weiß ich nicht was ich auf diese abenteuerliche Geschichte schreiben soll.
      Mir ist so als hätte ich das längst schon getan (noch im alten Forum? Ne, da ist nix).
      Die Schilderungen sind sooo schön und es klingt tatsächlich wie aus dem letzten Jahrhundert.
      Andererseits kann ich mir zumindest bezüglich der Gastfreundschaft derartiges auch Heute noch vorstellen.
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)
      Die Geschichte hab ich erst jetzt geschrieben, da kann im alten Forum nix sein.
      Und, Du hast Recht, sie ist aus dem letzten Jahrhundert, aus dem letzten Jahrtausend sogar ... :gruebel:

      Aber nach all dem, was die Leute dort in den letzten Jahren durchgemacht haben, hat man den Eindruck, dass die Geschichte schon weit mehr als 33 Jahre her ist.
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      "Gutten Tag - wie gäht's ?"


      Es stellte sich heraus, dass dies die einzigen deutschen Worte waren, die der Slasticarna-Inhaber kannte. Aber das war nicht weiter schlimm. Inzwischen hatten eine größere Menge Kinder auf der Straße versammelt, die unbedingt wissen wollten, was für ein Exot sich da in ihr Dorf verrirrt hatte. Da ein fliessend österreichisch sprechendes Migrantenmädchen - vielleicht zehn Jahre alt - dabei war, lief es auch sprachlich ohne Probleme.

      Die Kinder wichen mir nicht mehr von der Seite. Besonders mein kleines gelbes Wörterbuch war heiss umkämpft. Die kommenden zwei Tage, die ich im Dorf verbringen würde, gab es einen neuen Gruß: Nema camac (ausgesprochen: Tschamatz) = kein Boot da. Grammatikalisch ist das, wie ich inzwischen weiss, nicht ganz richtig, aber die Kinder nahmen wohl Rücksicht auf meine bescheidenen Sprachkenntnisse.

      Am ersten Abend stellte sich dann die Frage, wo ich schlafen sollte. Denn das Hotel konnte ich mir nicht leisten. Zuerst war von einer alten Mühlen-Ruine die Rede, aber dann gab es wohl einen kleinen Wettstreit unter den Kindern, welche Eltern als erstes einer Einquartierung meinerseits zustimmen würden; der ca. 15jährige Sieger packte meinen Rucksack in ein kleines Boot, mich dazu und fuhr uns dann auf eine Insel, mit einer Schaufel als Ruder. Ich weiss noch, dass der Familienvater Meho hiess; ansonsten wurde es eine lange, feucht-fröhliche Nacht.
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      Anderntags bezog ich wieder auf meiner Insel Warteposition. Sowohl ich als auch die Dorfbewohner, mit denen ich darüber sprach, waren der Ansicht, dass irgendetwas passiert sein musste, und die Bootsfahrer z.B. aufgrund eines größeren Defekts die Tour abgebrochen haben mussten - immerhin handelte es sich bei den Wasserfahrzeugen um amerikanische Patrouillenboote aus dem Zweiten Weltkrieg, d.h. sie waren nicht mehr ganz neu. Und flussaufwärts gab es gefährliche Hindernisse w.z.B. einen 20 Meter hohen Wasserfall.

      Die Möglichkeit, mit den Bootsfahrern oder meinen Wirtsleuten in Verbindung zu treten, gab es nicht. Niemand hatte Telefon oder ähnliches.

      Ich beschloss also, auf gut Glück flussaufwärts in die Berge zu fahren. Ging zur Post, gab ein Telegramm an meine Wirtsleute in Dvor auf, worin ich ihnen die Lage mitteilte - in der Hoffnung, dass mein abenteuerliches Stoppelkroatisch verstanden würde, denn auf Deutsch oder Englisch ging das im Dorfpostamt von Ripac nicht. Löste eine Fahrkarte nach Martin Brod, dem Ausgangspunkt der Bootstour, oberhalb des erwähnten Wasserfalls.

      Auf den nächsten Schienenbus musste ich nicht lange warten, im Gegensatz zu heute, wo auf dieser Strecke ein oder zwei Züge täglich oder womöglich auch gar keine mehr fahren.

      Vor Ripac verlässt die Una eine lange Schlucht, diesen Weg fuhr der Zug jetzt in Gegenrichtung. Die Bahnlinie ging nicht mehr am Fluss entlang, sondern schraubte sich immer höher in die Berge, und die Una wurde von oben immer kleiner.

      Nach der dritten Station, Loskun hiess sie meines Wissens, wurde es auf einmal laut im Zug, und es drängten sich die Passagiere am talseitigen Fenster. Die Ursache für die Aufregung: Zwei kleine schwarze Boote mit acht Leuten drin, auf der Una abwärts fahrend ... Ich stieg in Martin Brod aus und fuhr mit dem nächsten Zug zurück. In Ripac wurde ich wie ein alter Bekannter begrüßt, besonders von den Kindern.
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      - Kurt Tucholsky -
      Drei Bahnstationen können mit dem Boot doch eine längere Strecke sein - bis abends war von den Booten noch nichts zu sehen. Quartier bekamm ich diesmal bei einer Witwe oder alleinerziehenden Mutter, deren ca. 14-jähriger autobegeisterter Sohn sich brennend für die Gebrauchtwagenpreise in Deutschland interessierte.

      Jetzt gab es da ein Umrechnungsproblem. In den 70ern war ein jugoslawischer Dinar ca. 15 Pfennig, aber viele Leute rechneten unter sich noch in alten Dinar, d.h. dem Hundertfachen. Bereits 1966 waren nämlich zwei Nullen gestrichen worden, aber das hatte sich in den Köpfen der Leute - im Gegensatz zu dem, was Wikipedia schreibt, nicht nur der älteren - nicht durchgesetzt. Ich musste dem Guten die Autopreise also in seine alten Dinar umrechnen, mein erster (nach einem halben Jahr den Geist aufgegeben habender) VW-Käfer hatte mich also "Zweihunderttausend" = 300 DM gekostet.

      Am nächsten Tag, ich war schon den dritten Tag in Ripac, gegen Mittag entstand ein Auflauf. Die gesamte Dorfjugend von Null an aufwärts (was noch nicht laufen konnte, wurde geschleppt) kamen das Una-Ufer heruntergetobt:
      "Camac ! Camac !"
      "Zwei große schwarze Gummiboote "!
      Die acht Bootsfahrer waren da, und überrascht um den begeisterten Empfang.

      Vor dem Einladen musste noch ein kleiner Wasserfall überwunden werden, vielleicht einen Meter hoch. Dazu stieg erstmal einer aus, begutachtete die Wasserstände, dirigerte das Boot zu einer Stelle, an der eine große Wasserwelle über die Steine führte ... dann ruderten alle so kräftig wie sie konnten auf diese Stelle zu, und - platsch ! - lag das Boot samt Inhalt einen Meter tiefer, im Kreis trudelnd.

      Für derartige Unternehmungen musste natürlich das gesamte Gepäck, das man für die Einwochentour dabei haben musste, in Plastiksäcke wasserdicht verpackt und fest verschnürt sein. Bis mein Rucksack soweit war, dauerte es eine Weile. Dann nahmen wir Abschied von Ripac und seinen Kindern und fuhren los.
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      - Kurt Tucholsky -
      Bis hierhin eine wirklich sehr schöne Schilderung.
      Alle möglichen Bilder entwarf ich dazu automatisch in meinem Kopf.
      Mit der Realität haben sie vermutlich nichts zu tun, aber könnte ich malen, wären es sicher Kunstwerke.
      Und das liegt an der Art Deiner Beschreibungen! :knuddel1:
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)
      Dankschön für die :blreich: liebe Schnuppi :knuddel1:

      Da erzählen wir doch gleich mal weiter.



      Am frühen Nachmittag waren wir losgepaddelt. Im vorderen Boot waren es vier, im hinteren mit mir fünf Leute - wobei wir nur vier Paddel pro Boot hatten, und so immer eine/r Pause machen konnte. Zeitweise, wenn das Wasser ruhig war, schmiss Ante im vorderen Boot den Aussenbordmotor an (dessen zeitweiliger Defekt die anderthalbtägige Verspätung verschuldet hatte) und nahm das hintere Boot in Schlepp.

      Ausser Ante waren alle Studenten, in den Zwanzigern wie ich, wobei ich nicht mehr alle acht zusammen bekomme. Zwei oder drei Frauen waren auch dabei. Ob es Serben oder Kroaten waren (Bosniaken waren wohl keine dabei, jedenfalls hatte niemand einen muslimisch klingenden Vornamen) - keine Ahnung, das spielte keine Rolle. Ante sprach mit mir ein Gemisch aus Deutsch und Serbokroatisch (so hies die Landessprache damals offiziell), von den anderen sprachen mehrere Englisch - mit hartem slawischen Akzent. Einer hatte immer das Kommando im Boot, was bei Richtungwechseln wichtig war; ich machte als Untrainierter öfter schlapp als die andern und ich hab immer noch das Kommando im Ohr: "Stronggärr !"

      Nachdem wir ein paar Stunden abwechselnd kleine Wasserfälle hinuntergehupft oder im ruhigem Wasser dem Motor gelauscht hatten, zogen wir die Boote auf einer Wiese an Land, bauten drei Zelte auf und machten Feuer. Ante schärfte mir ein, dass ich, falls Fremde kämen, im Zelt verschwinden sollte - sie würden den etwaigen Eigentümern der Wiese, auf de wir zelteten, dann erklären, sie seien eine militärische Übungsgruppe. Offensichtlich hatte damals jeder Jugoslawe das Recht, auf fremdem Grund zu kampieren, wenn er Mitglied einer Partisanenübungsgruppe war. Schliesslich hatten Titos Partisanen nach der offizellen Staatsideologie im Zweiten Weltkrieg den größten Teil des Landes befreit, deshalb, so wurde mir erzählt, fanden öfter Manöver in Zivil statt - so konnte jeder derartige Aktivitäten als Partisanenübung deklarieren. Und da passte ich als Bundesdeutscher nicht hin.

      Tatsächlich kam nach kurzem ein Bauer. Ich verschwand im Zelt und konnte natürlich nur einen Bruchteil des Streitgesprächs mitbekommen, mangels Sprachverständnis. Erst war der Bauer sehr aufgebracht, ich verstand die Worte "Feuer" und "Zelt", anscheind passte ihm das Ganze nicht. Ante sprach beruhigend auf ihn ein, wir seien eine vojna grupa, eine Militärgruppe, er redete eine ganze Weile, und schliesslich klang die Stimme des Bauern versöhnlicher: "Vojna grupa - nema problema ..."
      :reg:
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      - Kurt Tucholsky -
      Die Verhandlungen mit dem Bauern hatten mit einer Einladung zum Frühstück im Dorf geendet, das natürlich ohne mich stattfinden musste. Ich passte derweil auf die Boote auf, die am Rand des Dorfes (das etwas höher lag als der Fluss) an Land gezogen waren. Leider hatte man vergessen, mich zu instruieren, was ich den neugierigen Kindern sagen sollte. Und so machten sie einen ziemlich misstrauischen Eindruck auf mich (und ich auf sie wohl auch), ganz im Gegensatz zu dem herzlichen Empfang in Ripac.
      Mir fällt dabei ein, dass das kroatische Wort für Deutsche=njemci ähnlich wie in anderen slawischen Sprachen von nijem=stumm abgeleitet ist - und so kam ich mir auch vor.

      Zum Glück dauerte das Frühstück nicht lang - die Bootsfahrer meinten hinterher, die Dörfler seien irgendwie seltsam gewesen.
      Nach einigem Paddeln erreichten wir die Bezirkshauptstadt Bihac, gingen kurz an Land zwecks Einkaufen und Telefonieren (irgendjemand hatte doch einen erreichbaren Anschluss) und hüpften dann weiter über Wasserfälle. Kurz vor oder hinter Bihac suchten wir - barfuß mit kurzen Hosen - eine direkt am Fluss gelegene Raststättentoilette auf, mussten dabei quer durchs Restaurant und wurden angestarrt wie Obdachlose, die in den Speisesaal des Hilton eingefallen sind.

      Danach ging's durch eine Schlucht, das war Schwerarbeit. Landschaftlich war es wunderschön, die Gegend sah ähnlich aus wie die, wo die Winntetou-Filme in den 60ern gedreht worden waren. Irgendwo an einer Höhle machten wir Rast und bekamen, als wir die Höhle betraten, einen Schreck: Lag da ein Totenschädel vor uns ?
      Möglich wär's, denn im und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden öfter Opfer der Kriegsparteien in Höhlen entsorgt, wenn sie nicht - von den eigenen Leuten geborgene Partisanen zumindestens - ein Grab da bekamen, wo sie gestorben waren (an der Bahnstrecke um Bihac habe ich mehrere Gräber gesehen). Dieser hier sah allerdings nur aus wie ein Totenschädel von hinten - als wir ihn umdrehten, war's einfach ein Stein.

      Abends kampierten wir auf einer Insel in der berechtigten Hoffnung, dass uns diesmal kein Bauer stören würde. Dafür kam auf der anderen Seite der Una mehrmals die Nacht ein Zug durch (im Gegensatz zu heute). das Dröhnen der schweren Diesellok wurde immer lauter und lauter, bis man das Gefühl bekam, jetzt fährt sie gleich mitten durchs Zelt.
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      - Kurt Tucholsky -
      Ausser den Güterzügen der Una-Bahn störte niemand unsere Nachtruhe.
      Anderntags konnten wir nur kurze Zeit paddeln, dann stand ein Staudamm im Weg. Wir zogen die Boote an Land, und Ante organisierte einen Bauern mit Pferdefuhrwerk, der uns das Ganze 2 km flussabwärts transportierte.

      Dann gings über viele Steine durch die nächste malerische Schlucht, bis das Wasser wieder ruhiger wurde und wir wieder im Schlepptau fuhren. Irgendwann fragte Ante zwei am Ufer spielende Kinder, wie weit es noch nach Bosanska Krupa sei. Die antworteten auf Deutsch:
      Zwelf Kilometerr !"

      Wir kamen danach zu dem Schluss, dass sie meinten, wer so verrückt ist, den Fluss auf Schlauchbooten zu befahren, kann nur aus Deutschland kommen.

      In Bosanska Krupa erklärte Ante die Tour für beendet. Auf der weiteren Fahrt bis Bosanski Novi wäre der Fluss völlig ruhig und nur noch Schlepptau-Fahrt mit Motor angesagt gewesen, und das hatten wir jetzt schon mehr als "zwelf Kilometerr" hinter uns. Irgendwann kam ein Shinobus, in den wir Boote und Gepäck hineinstopften. Währenddessen feierte neben uns eine Clique junger Einheimischer mit Bier und Ziehharmonikagesag. Ante erklärte mir, einer der Leute müsse zum Militär und würde so verabschiedet. Bei uns, so antwortete ich, sei das umgekehrt. Da würde gefeiert, wenn sie das Ganze hinter sich haben.

      Es folgten noch ein paar unbeschwerte Tage in Dvor, bevor ich mich wieder Richtung Heimat aufmachte. Die Zugfahrt bis zur österreichischen Grenze kostete knapp 10 DM, da lohnte das Trampen nicht. So fuhr mich Stojan in seinem alten Zastava irgendwann morgens bei Dunkelheit nach Bosanski Novi, und am Nachmittag stand ich schon am Ortsrand von Jesenice, wenige Kilometer vor der Grenze und hielt den Daumen raus.

      Nach einer Stunde begann es zu regnen. Gerade rechtzeitig vor der völligen Durchfeuchtung hielt ein Renault R4 mit Münchner Nummer - ein Studentenpärchen, die nach ihrem Adria-Urlaub noch ein paar Tage ins Familienferienhaus nach Berchtesgaden wollten.

      An der Grenze gab ich der Beifahrerin meinen Pass. Die blätterte drin herum und stolperte über meinen Familiennamen. "Kann es sein, dass Du in München eine Schwester hast, die G. heisst ?"

      Es konnte. :D

      Die nächsten beiden Tage verbrachte ich in Berchtesgaden.

      - ENDE -
      :reg:
      :wechsel:
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      - Kurt Tucholsky -
      Was für ein spannender, erlebnisreicher Urlaub.
      Was für eine spannende, irgendwie völlig andere Zeit - die irgendwie schön war.

      Ich freue mich, das Du sie erlebt hast und sie hier so bezaubernd beschrieben hast.

      :dankerose:
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)
      Original von Schnuppi
      Was für ein spannender, erlebnisreicher Urlaub.
      Was für eine spannende, irgendwie völlig andere Zeit - die irgendwie schön war.

      Ich freue mich, das Du sie erlebt hast und sie hier so bezaubernd beschrieben hast.

      :dankerose:


      Dankschön für das Danke :blureich:


      Hier hab ich noch einen schönen alten Schienenbus gefunden, wie er damals fuhr -
      anscheinend hat die kroatische Bahn noch welche im Einsatz (Lautsprecher einschalten):



      oder :link:
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      - Kurt Tucholsky -
      Das ist ja abenteuerlich, so wie die Dein Bericht.

      Das Video finde ich :superkl: :bravo:

      :begeistert:
      :o_linie3:


      Jede Reise hat zwei Höhepunkte:
      den einen, wenn man hinausfährt,
      erlebnishungrig und voller Erwartung -
      und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken
      und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

      (Heinrich Spoerl, Auszug aus "Die Hochzeitsreise)
      (Vom 12.3.09):
      Am ersten Abend stellte sich dann die Frage, wo ich schlafen sollte. Denn das Hotel konnte ich mir nicht leisten. Zuerst war von einer alten Mühlen-Ruine die Rede, aber dann gab es wohl einen kleinen Wettstreit unter den Kindern, welche Eltern als erstes einer Einquartierung meinerseits zustimmen würden; der ca. 15jährige Sieger packte meinen Rucksack in ein kleines Boot, mich dazu und fuhr uns dann auf eine Insel, mit einer Schaufel als Ruder. Ich weiss noch, dass der Familienvater Meho hiess; ansonsten wurde es eine lange, feucht-fröhliche Nacht.


      Gestern war ich seit 34 Jahren wieder in Ripac.
      Ich wusste, dass das Dorf vom Krieg schwer gezeichnet worden war, und dass es dort viele Tote gegeben hat. Leider ist mein Gastgeber Meho (der einzige, an dessen Vor- und Zunamen ich mich noch erinnere) ebenfalls in diesem Krieg erschossen worden, das wurde mir zumindestens berichtet.

      :muede_traurig: :blreich: :kerze1:
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -
      Inzwischen weiss ich, dass mein damaliger Gastgeber Meho noch vor dem Krieg an den Folgen eines Autounfalls gestorben ist. Unser Tour-Organisator Ante hingegen hat den Krieg überlebt und ist jetzt als Zagreber Museumsorganisator und als Aktivist der 1992 aus Bosanski Novi Vertriebenen bei Google zu finden.
      :reg:
      :wechsel:
      Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
      - Kurt Tucholsky -